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Latinisierungen.

Im Ausgange des Mittelalters und besonders nach der sonst so erfreulichen Wiederbelebung der klassischen Studien im 15. und 16. Jahrhundert wurde es Sitte bei den Gelehrten und studierten Fürstendienern, auch ihre Namen in das Antike zu übersetzen. Ein Beispiel haben wir unter anderem an dem Dr. juris Olearius in Goethes Götz in der Tafelszene des ersten Aufzuges:

* * * *

Liebetraut:

Ihr seid von Frankfurt? Ich bin da wohlbekannt. - Euer Name ist Olearius? Ich kenne so niemanden.

Olearius:

Mein Vater hieß Ölmann. Nur den Mißstand auf dem Titel meiner lateinischen Schriften zu vermeiden, nennt' ich mich nach dem Beispiel und auf Anraten würdiger Rechtslehrer Olearius.

Liebetraut:

Ihr tatet wohl, daß ihr euch übersetztet. Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande; es hätt' euch in eurer Muttersprache auch so gehen können.

Olearius:

Es war nicht darum.

Liebetraut:

Alle Dinge haben ein paar Ursachen.

* * * *

Die Grundursache war eben die leidige Nachahmung oder vielmehr Nachäffung des Fremden. Es sollte das alte Römertum wieder erweckt und alles möglichst auf römischen Fuß gebracht werden. So wurde das heimische Recht durch das römische Corpus juris verdrängt, und auch die deutsche Muttersprache suchte man als eine barbarische Sprache, wofür sie den Gelehrten galt, möglichst zu verdrängen und auszurotten, zunächst in den gelehrten Schulen, damit die lateinische ganz an ihre Stelle träte.

Man betrachtete es als einen großen Vorzug der römischen Kinder, daß sie von klein auf Latein sprachen und mit Lateinsprechenden umgingen, und bedauerte die armen deutschen Kinder, die nicht schon von den Ammen und beim Spielen auf den Gassen lauter Latein hörten. Den Lehrern wie den Schülern war darum alles Deutschsprechen untersagt; Spielen ward nur unter der Bedingung erlaubt, daß auch dabei nur Latein gesprochen würde.

So hoffte man die "barbarische" Muttersprache wenigstens aus den Schulen auszutreiben. In diesen traurigen Anschauungen und Bestrebungen kamen der Straßburger Lehrplan des Joh. Sturm, der württembergische des Herzogs Christoph und der der Jesuiten überein. Es war eben eine allgemeine Zeitrichtung.

Daher darf es nun nicht wundernehmen, wenn im Kreise der Ge-lehrten die Namen so eifrig verlateint wurden und man sich wenigstens hierin zu Römern zu lügen suchte. Ein Lutz nannte sich Lucius, ein Kurz: Curtius, ein Köpflin: Capito, ein Crachenberger: Pierius Graechus - ein Fischer übersetzte sich Piseator, ein Habermann: Avenarius - mit Zuhilfenahme des Griechischen ein Holzmann: - Xylander, ein Becker: Artopoeus, ein Hausschein: Oecolampadius.

Während die vergriechten Namen, fast ausnahmslos zusammengesetzt, durch ihre Länge ins Ohr fielen, indem sie mindestens dreisilbig, oft aber vier-, fünf-, ja sechssilbig sind, erschienen die einfachen lateinischen Namen in ihrer Kürze noch zu kahl; mindestens mußte den zweisilbigen wie Sartor, Pistor noch eine Endung gleichsam als Schleppe angehängt werden, um die Würde ihrer pedantischen Träger recht zu bezeichnen, also: Sartorius, Pistorius.

In jenen Zeiten bestimmte zuweilen der unreife und phantastische Einfall eines unbärtigen Literaten auf Jahrhunderte den Familiennamen seines Geschlechts. So war, nach Vilmar, ein gewisser Mosmann der Sohn eines Schmiedes zu Gemünden an der Wohra; da ihm aber einige lateinische Verse gelungen waren, so konnte er nicht mehr Mosmann heißen, sondern nahm den lateinischen Namen für das Gewerbe seines Vaters an: Faber.

Indes das drückte doch nicht den poetischen Schwung aus, den der angehende Virgil in sich fühlte, und so nannte er sich denn Fabronius, welches bedeuten sollte Faber Aonius, d. i. Musenschmied, und diesen Namen behielten seine Nachkommen bei. Seine Landsleute waren Helius Eobanus Hessus und Euricius Cordus, von denen bei ihren hochpoetisch klingenden Namen niemand mehr weiß, wie sie recht geheißen haben.

So entstanden die wunderlichsten und abenteuerlichsten Namengebilde, z. B. Osiander aus Hosemann, Chiomusus aus Schneesing, Chelopoeus aus Kistemaker, Namen, die jetzt schwer zu enträtseln sind oder gar nicht mehr, wie Chesnecophorus. Auch übellautende Mißbildungen, wie Gueinzius, Heineccius, Cocceji = urspr. bloßer Koch, aber anmaßlicherweise eingedrungen in die römische Gens Cocceja (Pott) setzten sich fest.

Diese Latinisierungen wucherten am meisten da, wo eben die vorhin geschilderte, sog. humanistische Richtung besonders blühte, also namentlich in Sachsen, in der Pfalz, in Basel, vor allem aber am Hofe des hessischen Landgrafen Philipps des Großmütigen.

Manche kehrten von den Pistorius, Episcopius, Melissander ihrer Väter zu den Becker, Bischoff, Bienemann ihrer Großväter zurück; andere aber behielten die bunten lateinischen und griechischen Namen bei, wenn sie sich auch nicht auf der wissenschaftlichen Höhe ihrer Vorfahren behaupten konnten, und so finden wir diese Fremdnamen gegenwärtig noch überall in Deutschland.

Friedrich der Große hat gelegentlich darüber seinen Spott ausgegossen, siehe den Bericht über seinen Besuch im Rhin- und Dossebruch (1779), verfaßt vom Oberamtmann Fromme, der den König durch den Fehrbelliner Amtsbezirk begleiten mußte und alles aufgezeichnet hat, was er an diesem denkwürdigen Tage erlebt und aus des Königs Munde vernommen hat.

König:

Wie heißt Ihr?

Amtsrat (des Amtes Neustadt):

Klausius.

König:

Klau-si-us. - - Was ist das für ein Mensch, der da rechts?

F r o m m e:

Der Bauinspektor Menzelius, der hier die Bauten in Aufsicht gehabt hat.

König:

Bin ich hier in Rom? Es sind ja lauter lateinische Namen! Wie heißt die Kolonie?

Fromme:

Klausiushof.

Amtsrat:

Ihro Majestät, sie kann auch Klaushof heißen.

König:

Sie heißt Klau-si-ushof. Wie heißt da die andere Kolonie?.

Fromme:

Brenkenhof.

König:

So heißt sie nicht.

Fromme:

Ja, Ihro Majestät! Ich weiß es nicht anders!

König:

Sie heißt Brenkenhofi-ushof.

Um nur noch einige bekanntere zu nennen: Caesar, Cassius, Curtius, Erythropel, Fabarius, Gryphius, Lipsius, Mylius, Vulpius.

Jetzt bekommt diese Namenklasse glücklicherweise keinen Zuwachs mehr. Nur einige Stockphilologen haben es in neuerer Zeit noch nicht lassen können, Namen in dieser Weise für ihre Zwecke zu antikisieren: Öhler in Olearius, Sillig in Siligius. Doch gründlicher verfuhr hierin Reisig. Dieser Gelehrte, der jedesmal, wenn er glaubte eine glückliche Konjektur gemacht zu haben, dies der Welt durch Trompetenstoß von dem Boden seiner Wohnung aus verkündete, leistete auch Entsprechendes auf dem Gebiete der Antikisierung, besser gesagt, Entstellung der Namen. So verwandelte er Wunderlich in Vunderilicus, Poppo ganz unnötigerweise in Pomponius, Mitscherlich gar in Midoscherilix, als wäre dieser Horazerklärer des 19. Jahrhunderts einer von den Keltenhäuptlingen des alten Galliens, gleich dem Viridovix und Vercingetorix.