Steirische Hausnamen
Im weiten, unabsehbaren Feld der Eigennamen steht der Hausname abseits wie ein bescheidener bäuerlicher Vetter, obwohl er sie an Alter weit überragt. Denn wenn die Eigennamen in unseren Alpenländern für den Bürgerstand etwa im 15. Jahrhundert aufkommen, und etwas später unterm Landvolk, so erscheinen die urkundlich nachweisbaren Hausnamen schon im 13.Jahrhundert und waren wohl vor ihrer gelegentlichen Aufzeichnung schon lange im Gebrauche. Ihre Urahnen, die Haus- und Hofmarken, sind wie im ganzen südlichen Deutschland auch bei uns verschollen und haben sich nur mehr in den Hammerzeichen der Sensenwerke erhalten. Der Hausname aber lebt noch heute, nicht zuletzt ob seiner praktischen Verwendbarkeit, und ragt in unsere vergeßliche Zeit als immergrünes Reis am Stamme uralten Volkstums.
In der Stadt freilich ist er heute unbekannt. Wie die altertümlichen Bürgershäuser der Spitzhaue zum Opfer fielen, so mußten auch ihre traulichen Namen der Numerierung weichen. Höchstens, daß noch in halb verklungenen Lokalsagen die Erinnerung an den silbernen Brunnen, die drei Spulen, die goldene Kugel fortlebt. Immer aber galt hier der Name dem Hause im engeren Sinne.
Auch in den Märkten hat der rasche Besitzwechsel arg unter ihnen aufgeräumt und nur aus den Erzählungen unserer Großväter erfahren wir, wo der Rathausbäck, der Torschuster, der Weißgerber und die alte Post gestanden. Hier klingt neben dem Hause schon das Gewerbe, wohl auch der Name des einstigen Eigners, vernehmlich an.
Aber auf dem Dorfe und vor allem auf dem Einschichthofe gilt der Hausname noch in seiner umfassendsten Bedeutung, fürs ganze Hauswesen — „ban Hoachbauern sand sie olli marod", fürs Haus selbst — „ban Groaßulli hot da Blitz ei'g'schlogn", und endlich für den Eigner — „da Foltabaua hot vakaft".
Der Hausname haftet am Hause, ob auch der Besitzer wechselt. Er geht auf den neuen Herrn über und nur unter ihm ist dieser dem Volke bekannt. Wie er „sich schreibt", ist dem Nachbar ziemlich gleichgültig und nebensächlich. Und auch der Eigner ist gewohnt, sich mit seinem Hausnamen zu nennen, vor allem, wenn schon seine Vorfahren durch mehrere Geschlechtsfolgen auf dem Hofe saßen. In ihn legt er die ganze Würde, das volle Schwergewicht des ererbten Besitzes. Den Schreibnamen sucht er oft erst nach kurzem Besinnen und nur bei besonderen Anlässen hervor, bei Geburts- und Sterbefällen, vor Gericht und der Behörde. Unter seinesgleichen aber gilt er als der Wolfgruber, ob er nun Weber oder Moser heißt. Im zähen Festhalten an den Hausnamen kommt der konservative Sinn des Volkes, sein unbewußt historisches Empfinden zur Geltung.
Fast scheint es bisweilen, als ob in den Schichten, nach denen sich das wirtschaftliche Emporkommen des Volkes ablagerte, sich auch einzelne Hausnamengruppen abgesetzt hätten, so daß wir — im großen und ganzen — oft versucht sind, sie darnach zu ordnen. Je nach dem Alter, das ihre erste urkundliche Nennung bezeugt, und vor allem nach ihrer oft bedeutsamen farbigen Bildlichkeit.
So reichen ihrer manche, die aus den ältesten Urbaren aufleuchten, geradewegs aus der Zeit der ersten Besiedlung herauf. So der Dürrenberger (am mons aridus der früheren Urkunden), der Klingensteiner, der hoch überm stürzenden Waldbach hauste (klinge, mittelhochdeutsch Sturzbach, Steilschlucht), der Großfurtner, der am Moore saß, das zur Sicherheit für Mensch und Saumtier mit eingelegten Baumstämmen gangbar gemacht, „gebruckt" ward. Denn davon stammt die älteste Bedeutung des Namens Brücke. Und es gewährt einen seltsamen Reiz, solch alten Namen nachzusinnen. Ist's doch zuweilen, als ob frühestes Volkstum die klaren Kinderaugen aufschlüge, wenn wir beim Spielberger, bei der Tanzmühle an uralte Stätten gemahnt werden, an denen sich unsere Urväter zu Spiel und Tanz unter der Linde trafen.
Bisweilen mag wohl auch der erste namhafte Besiedler der ganzen Gegend seinen Namen gegeben haben. So kann der Bauer Scherz vulgo Scherz am Scherzberge unter der Stubalpe wohl auf eine lange Reihe von Sippengliedern zurückschauen. Sein Name, vom althochdeutschen „scar", schneidende Waffe, lautete beim Urahn noch scarizo und der hat dem Scherzberg, dem heutigen weiten Besitz, den Namen geliehen. Etwa so wie Dieter am Dietenberge, nordöstlich von Ligist, auf dem er seinen hölzernen Burgstall hatte. Nach ihm — „wo Dieter wohnt" — wurde 1070 die südöstlichste Grenze der alten Pfarre Piber festgelegt.
Manches Geschlecht mag lange schon auf dem Hofe gesessen haben, bis es im ersten Urbar, in einer Urkunde, seine zufällige Aufzeichnung fand. Gehen doch manche Hausnamen — und ich führe nur solche an, die noch heute im Gebrauche stehen — auf Zeiten zurück, zu denen unter den deutschen Kolonen noch Siedler slawischen Blutes saßen. So finden wir in den landesfürstlichen Urbaren aus der Zeit des Königs Ottokar (1265 bis 1267) einen Gelen in lapide (Steinbauer), einen Zwäntz (Zwantzer) und Jans Schelthil (Schelter) neben ihren germannischen Stammesgenossen Jakob im Veuchtach (Waidacher), Ruepreht in salicibus (Wiedner), Laurencius an der oed (Oedenbauer), im Tullach (Tüllacher) und anderen.
Maßgebend für die ältesten Hausnamen war wohl vor allem die Lage des Gehöftes und seine Umgebung. So beim Ruep an der Straßen, beim Christian an der Aichen, beim Bauer im Bühel, beim Lenz vom heiligen Wasser, beim Nußpacher und beim Schlack in der Alm. Sie alle gehen in das 15. Jahrhundert zurück, wie der Arzberger auch, bei dem man wohl an bescheidene bergmännische Betätigung denken darf. (Der Baier, der Frankl, der Schwab sprechen für Zugewanderte aus späterer Zeit.) In diese ganze große Gruppe reiht sich ein das schier zahllose Geschlecht der Steiner und Ofner, der Wieser und Moser, der Schachner und Winterleitner usw. Sie alle aber haben ihre alten Hausnamen schon längst als Eigennamen übers ganze Land getragen.
Eine zweite große Gruppe hat die alten Rufnamen einstiger Besitzer im Hausnamen festgehalten, so von germanischen der Starchel (Starkhand), der Marchl (Markwart), der Sigl (Siegmund oder Siegfried, aber auch Silvester), derFritzl (Friedrich). Ob man beim Flödl (Flodoar) an einen Franken denken darf?
Aus etwas jüngerer Schicht mögen ihre christlichen Namensvettern stammen, so der Lipp und der Lenz, etwas geringschätzig verewigt im Volksliede, der Zach, Josl, Lex, Brosy, Gregor, Ruepl, Galli und Gratzer, denen ihre Schutzheiligen Zacharias, Jodocus, Alexius, Ambrosius, Gregorius, Rupertus, Gallus und Pankratius Ruf- und Hausnamen liehen.
Aus wesentlich späterer Zeit sind jene Hausnamen auf uns gekommen, die vom Handwerk „im Gäu" entlehnt sind, wenn auch manche von ihnen in den Untertanenverzeichnissen des 13. Jahrhunderts erscheinen, wie der Wagner, Müller, Weber, Schreiner. Auch sie sind lange schon zu Eigennamen geworden und nur mehr mit einem kennzeichnenden Beiworte als Hausnamen gebräuchlich. Aber andere sind recht selten und uns heute fast unverständlich und es wäre ein anregendes Beginnen, den Spuren dieser alten Gewerbe — oft hoch in der Einschicht — nachzugehen, über deren manchem es noch wie ein schwacher Schimmer alter Volkstracht liegt.
Der Spenger verfertigte Spangen, Hefte, „Hafteln" für Mieder und Wams (Spengler bezeichnet von altersher den Grobschmied), der Nestler knüpfte an Bändern, Schnürriemen und Bandschleifen für die oft kunstvoll ausgenähten „posamentierten" Feiertagsjoppen, der Driacher fertigte mit der Drihe, der Sticknadel, Handgewebe durch Flechten und Weben. Ihrer manche stammen sicher noch aus Zeiten, in denen das Handwerk noch nicht zu Zünften geschart im Markte saß, oder waren überhaupt Alleingänger und viel berufene Tausendkünstler. Der Betenmacher übte sein frommes Gewerbe im Häuslein unfern der Wallfahrtsstraße. Der Saitenmacher saß (zu Eibiswald) mitten im Markte. In seinem kleinen Laden, bei seinem Stande auf den Jahrmärkten wird sich manch wunderlicher Kunde eingefunden haben, vom Zigeuner und den fahrenden Musikanten bis zum kunstreichen Schulmeister, der meilenweite Wege nicht scheute, um gute, erprobte Ware zu erwerben. Manche, wie der Fleischhacker, der Koch im Stein, der Bäckenhubenbauer, sind Hausnamen, die an der Zuhube eines Marktbürgers haften blieben, ebenso wie die zahlreichen Judbauer, Judödenbauer, Jud usw. für das wirtschaftlich so verderbliche Treiben der kaiserlichen Kammerknechte im 15. und 16. Jahrhundert vielfach zeugen.
Eine weitere, im allgemeinen viel sparsamer gesäte Schar von Hausnamen entspringt dem Untertanenverhältnisse ihrer einstigen Träger. Sie läßt sich zeitlich schwer begrenzen. Doch hat man den Eindruck, daß unter ihnen neben alten Würdenträgern, wie Amtmann, Marbauer, Marhofbauer, Schlosser, Schloßwastl, viele erst dem reicher durchgliederten Untertanenwesen des 16. und 17. Jahrhunderts ihre Namen verdanken, wie der Wasserleiter und der Brunnbauer, der Oberjäger und der Pixenmeister, der Samer und der Ansager und viele andere.
Eine kleine, aber muntere Gruppe für sich bildet jene Schar, der der Volkswitz ein Zöpfchen angehängt hat, wie dem Jausensack, Katzjager, dem Hupfauf usw.
Als im 16. und 17. Jahrhundert mit der Zerstückelung grundherrlichen Bodens zu „Kaufrechtsgütern", mit der Zunahme der Bevölkerungsdichte und der gesteigerten Ausnutzung von Grund und Boden, vor allem im Hügellande der Mittelsteiermark, das Kleinbauerntum und Keuschlerwesen alle Seitengräben, Lehnen und Waldgereute zu übersäen begann, wuchs auch die Zahl der Hausnamen ins Ungemessene, ohne gerade an Bildlichkeit zu gewinnen. Es ist dies die Zeit jener recht flüchtigen Zusammensetzungen aus Vornamen und Störgewerbe sowie der mittelsteirischen Patronymica, wie Stindlweber (Augustin), Schmiedwendl (Wendelin), Bartlschneider und der Michlruepl, Tomaannerl, Zenzhiasl und anderer, deren Träger zwischen Weinhecken und Obsthainen so beschaulich ihr Ochsengespann nach dem Kukuruzfeld lenken, deren Keuschen als Buschenschenken von lindengekrönten Hügelrippen aus blitzblanken Fenstern ins Land gucken. An ihnen hat die Entwicklung der Hausnamen ihr vorläufiges Ende gefunden.
Und mit ihnen schließt auch dieser anspruchslose Versuch, an scheinbar bedeutungslosen Namen zurückzutasten in Zeiten, da Besitz und Persönlichkeit, Haus und Hauser, noch ihr arbeitshartes, aber frisches Eigenleben steuerten durch die Not des Tages in eine oft recht wolkenverhangene trübe Zukunft.
Quelle: Hans Kloepfer, Sulmtal und Kainachboden (1936)