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In ANNO sind bisher nicht alle in der ÖNB vorhandenen WZ-Ausgaben digitalisiert enthalten und nicht in jeder WZ-Ausgabe ist eine Verstorbene-Liste abgedruckt.

Ein Totenbeschauamt (Totenbeschreibamt), ohne dessen Zustimmung keine Leiche bestattet werden durfte, war in Wien zwar schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichtet worden, doch die Vornahme einer amtlichen Totenbeschau bei jedem Verstorbenen wurde erst durch eine am 20. Oktober 1656 erlassene Infektionsordnung anbefohlen. Die Einführung einer obligatorischen Totenbeschau erfolgte allerdings erst durch das kaiserliche Patent vom 26. August 1714, das durch eingehendere Vorschriften aus den Jahren 1770 und 1784 ergänzt wurde.
Der Beginn der Veröffentlichung der Verstorbenen in der WZ deckt sich in etwa mit dem Beginn der obligatorisch vorgeschriebenen Totenbeschau.

Mich hat nun grundsätzlich interessiert, ob die jeweiligen Verstorbene-Listen in der WZ ALLE in Wien Verstorbenen enthalten oder welche Abstriche da gemacht werden müssen.

Ich habe mich daher mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLa) in Verbindung gesetzt, diverse Fragen gestellt und um Auskunft gebeten. Die Antwort war zwar nicht erschöpfend zu meinen eigentlichen Fragen, aber immerhin habe ich einige interessante Informationen erhalten, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Zugesandt wurden mir Kopien einiger Publikationen, aus denen ich Passagen zitiere:

"Die Sippe" Blätter für südostdeutsche Sippenforschung
1. Jahrgang, Folge 4, Feber 1938
Beitrag von Roman Uhl: Die Totenprotokolle der Stadt Wien

Kursiv im Text: meine Anmerkungen und Einfügungen

".... Eine Totenbeschau findet jedenfalls schon in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts (Anm.: des 16.) statt, wie einer Notiz vom 2.September 1570 in den NÖ- Kammerprotokollen des Hofkammerarchivs zu entnehmen ist: "Auftrag an die von Wien, dem Christoph Prunner die täglichen Totenzettel zu übergeben." Das Totenbeschreiberamt hatte diese jeweils dem Bürgermeister vorzulegen, der sie der Regierung übermittelte. Aus den Oberkammeramtsrechnungen vom Jahre 1575 erfahren wir weiters, daß der Totenbeschreiber damals auf dem Heiltumstuhl bei St.Stephan seines Amtes waltete und finden in einer Urkunde des Wiener Stadtarchivs vom 23.November 1607 noch dort den geschworenen Totenbeschreiber Wolfgang Kaltenhauser, der ein eigenes Totenbuch führt, während eine Infektionsordnung Anno 1630 den Tiefen Graben als Sitz des Totenbeschreibamtes nennt. Die Totenzettel wurden demnach schon 1607 in ein Buch (Sterberegister) übertragen. Bedauerlicherweise sind dieses Bücher erst seit 22.August 1648 erhalten, von da ab aber - mit Ausnahme von zwei Bänden, welche die Zeit vom 1.November 1657 bis 31.Dezember 1658, beziehungsweise vom 1.Juli 1676 bis 31.Dezember 1677 umfassen, und einer kleinen Lücke vom 11.Oktober bis 31.Dezember 1663 - geschlossen bis 31.August 1920, woran sich noch ein Zettelkataster bis 31.Dezember 1923 schließt. ......"

Zu den Bänden der Totenprotokolle, die im WStLa auf Mikrofilmen einsehbar sind:

"...Ihre Anlage (der Bände) ist bist 1759 eine rein chronologische mit Indices, die 1648 bis 1663 und 1667 bis 1669 nach Vornamen ohne Zusammenlegung der harten und weichen Konsonanten, 1664 bis 1666 und 1669 bis 20.April 1752 nach Zunamen unter Zusammen-ziehung von BP, CK, DT, FVU, mitunter sogar von A und E geführt sind; 1752 bis 1842 tritt zu diesen Zusammenziehungen noch die von CKG. Die Bände über die Zeit vom 1.Juli 1651 bis 28.März 1653, beziehungsweise 1.April 1661 bis 10.Oktober 1663 haben unvollständige Indices (sind nachträglich verzettelt worden). Vom 21.April 1752 bis 1891 sind die Bücher nach dem Anfangsbuchstaben der Zunamen alphabetisch unterteilt, innerhalb dieser Unterteilung aber wieder chronologisch gehalten. 1892 erfolgt eine weitere monatliche und topographische Scheidung: innerhalb jedes Monats zuerst die inneren zehn Bezirke gemeinsam, dann jeder weitere Bezirk für sich, die Unterteile aber stets chronologisch. Der 1.Juli 1917 bringt schließlich eine Zusammenlegung aller 21 Bezirke mit Unterteilung nach dem Anfangsbuchstaben folgenden ersten Vokal: a,e,i,o,u und au (ai, ei, eu)"

Zu den Gebieten, auf die sich die magistratische Totenbeschau erstreckte:

Bis 1705 auf folgende Gebiete:
Stadt, Leopoldstadt (Unterer Wörth, Judenstadt, Unter den Felbern, Am Tabor) Jägerzeile, Weißgärber, Landstraße ( Ungargasse, Rennweg), Wieden ( Starhembergsches Freigut, Schleifmühle), Laimgrube ( Kotgasse, An der Wien, Bettlergaßl ), Windmühl, Bei Mariahilf ( Im Scheff), Spitlberg* (Kroatendörfl), Josepfstadt (außer roten Hof), Alserstraße, Währingergasse und Rossau.

* nicht zu verwechseln mit "Spitalberg" , der späteren Karls- bzw. Waisenhaus- und heutigen Boltzmanngasse

"Auf Grund des kaiserlicher Infektionspatentes vom 23.Oktober 1649 und seiner Erneuerung vom 30.Oktober 1654 erscheint zeitweilig auch St.Ulrich (Neubau, Neustift, Wendlstatt) einbezogen, dauernd erst seit dem Pestjahr 1679. .... eine Instruktion vom 11.Mai 1705 (dehnt) die Totenbeschau auf das ganze Gebiet innerhalb der Linienwälle aus, sie umfasst ab da die Stadt mit sämtlichen Vorstädten (..... Lichtental erst 1707). Ab 1890 kommen die Vororte (heutige Bezirke 11 bis 19, 21 bis 23) , 1906 noch Floridsdorf und 1909 Strebersdorf hinzu. Daher sind die vorher dort Verstorbenen nicht im Wiener Totenbeschauprotokoll zu finden. Es gibt im Wiener Stadt- und Landesarchiv Bestände und damit auch Totenbeschauprotokolle der 1890 eingemeindeten Gemeinden, die nur sehr lückenhaft erhalten sind."

Zu den aufgenommenen Verstorbenen im Totenprotokoll:

Welche Verstorbenen erscheinen nicht in den Totenprotokollen?

Die Mitglieder des allerhöchsten Hauses; die auswärtigen Geschäftsträger sowie in älterer Zeit auch manche Personen des hohen Adels; jene Ordensgeistlichkeit, die ihre Toten in eigenen Friedhöfen (Kirchgrüften, Katakomben) bestattete; die Justifizierten (bis in die jüngste Zeit) und in gewissen Zeitabschnitten auch Kinder unter einem Jahre.

Sonderverzeichnisse (von mir zusammengefasst):

Juden: 1648 - 1669 und 1782 - 1785
Nichtkatholische: 1752 - 1759
Uneheliche Kinder: 1752 - 1785
vom Gericht beschaute Personen: 1752 - 1785
unbekannte Personen: 1752 - 1758 und 1760 - 1761
in St. Marx verstorbene Personen: 1760 - 1769
im Findelhaus verstorbene Kinder: 1786 - 1795
bei der Explosion des Pulverturmes Verunglückten: 1779
in den Amtsbüchern des Bürgerspitals gesondertes Verz. verstorbener Pfleglinge: 1687 - 1690

Zu den Angaben in den Totenprotokollen (von mir zusammen gefasst):

Todestag:
Bis in die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts liegt das angegebene Datum als Beschautag in der Regel einen Tag nach dem wirklichen Todestag.

Hierzu noch aus Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Bd.5:

"Da im Totenprotokoll grundsätzlich das Beschaudatum (unter Umständen sogar das Eintragungsdatum) vermerkt ist, dieses aber nicht mit dem Todestag ident ist, ergeben sich bes. in der älterer Zeit gegenüber den Matrikeneintragungen der Pfarren oder Parten zuweilen Unterschiede...."

Vor- und Zuname:
Im 17. Jahrhundert werden wiederholt auch Dienstpersonen (nur Vorname) unter dem Namen des Dienstgebers gebracht.

Beruf:
Neben der Berufsangabe ist bis 1861 stets die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft angemerkt. Die Titular (Angabe des Adelsprädikates, die Bezeichnung "Herr" "Frau" ) wird besonders in älterer Zeit sehr genau genommen.

Stand:
Allgemein angegeben seit 1811, bei Frauen in der Regel schon seit 1648 durch die Bezeichnung Witwe, Jungfrau, lediges Mensch.

Religion:
Allgemein seit 1841, Nichtchristen werden von 1648 - 1785 stets ausdrücklich als solche bezeichnet, wiederholt auch Evangelische.

Wohnort bzw. Sterbeort:
Bei in Krankenanstalten Verstorbenen ist bis 1852 (vor Einführung vorgedruckter Formulare) der Wohnort nicht immer angegeben. Ab 2.Dezember 1772 sind die Häuser durch Nummern bezeichnet, die der jeweils geltenden Nummerierung entsprechen. Im Oktober 1862 beginnt die in diesem Jahre durchgeführte gassenweise Nummerierung auch in den Totenprotokollen aufzuscheinen, doch ist bis Januar 1863 in der Regel auch die alte Hausnummer beigesetzt.

Geburtsort:
Allgemein seit 1804, vielfach schon seit 1795. Bei auf der Durchreise Verstorbenen oder von auswärts Eingelieferten in Krankenanstalten schon seit 1648 Herkunftsangaben, die in der Regel aber nur den ständigen Wohnsitz darstellen.

Alter:
Die Angaben sind bis zum Ausgang des 18.Jahrhunderts wenig verlässlich. Ab 1896 erscheint in manchen äußeren Bezirken statt der Altersangabe das Geburtsdatum, ab 1901 allgemein.

Wieder wortwörtliches Zitat:
"Nachdem die Totenprotokolle nur Abschriften der Totenbeschauzettel sind, die, wie aus der Schrift der Bücher ersichtlich ist, besonders in älterer Zeit erst viel später durchgeführt wurden .... , die Namensschreibung keine feststehende sondern rein phonetische war und außerdem, wie uns eine behördliche Beanständung vom 26.April 1727 kundtut, die Zettel oft unleserlich und mangelhaft ausgestellt wurden ....., die Bücher vielfach Fehler ...., wie Namensverschreibungen, Auslassungen, Doppeleintragungen, Zusammenziehungen von zwei Befunden .. wird sich empfehlen, die Angaben des Totenprotokolls stets in der Kirchenmatrik zu überprüfen."

Renate Fennes, Gütersloh
November 2009