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Der Postillon.

Nikolaus Lenau.

Inhaltsverzeichnis[Verbergen]

Einführung

L e n a u war ein sehr schwermütiger Mann. Obwohl er, wie uns seine Freunde berichten, manchmal geradezu ausgelassen lustig sein konnte, so kamen doch oft plötzlich traurige Gedanken über ihn und das Kleinste war imstande, solche Gedanken in ihm zu wecken, Davon legt folgendes Erlebnis Zeugnis ab.

Einmal fuhr L e n a u in einem Postwagen von Stuttgart nach Balingen, einem kleinen Orte im südlichen Württemberg. Es war eine wunderschöne Maiennacht. Der Mond stand in hellem Glanze am dunkelblauen Himmel, ein süßer Blütenduft war in der Luft und der Dichter konnte sich gar nicht satt sehen an der Schönheit der Landschaft. Auch der Postillon war jedenfalls durch die schöne Nacht freudig gestimmt, er zog sein Horn hervor und blies auf demselben fröhliche Lieder. So ging es in der lauen Nacht dahin. Plötzlich tauchte an einem Berghang eine langgestreckte weiße Mauer auf. Ein Friedhof lag dort. Im Mondenlicht sah man die Kreuze schimmern und hoch über sie empor erhob sich ein großes Kreuzbild, wie man es fast auf allen Friedhöfen findet. Da hielt der Postillon an, drehte sich zu dem Dichter um und sagte ihm, daß in diesem Friedhofe einer seiner liebsten Kameraden begraben liege. Keiner habe das Horn so schön blasen können wie der Tote, und diesem zuliebe halte er hier immer an, um ihm sein Lieblingslied zu blasen. Damit setzte der Postillon das Horn an den Mund und blies, gegen den Friedhof gewendet, ein Lied, das sanft von der Bergwand widerhallte. Dann zog er wieder die Zügel, an und fort ging es in raschem Trabe. Auf Lenau machte dieses Erlebnis einen tiefen Eindruck. Wie er da mitten in der schönen Maiennacht an den Tod erinnert wurde, das konnte er nicht mehr vergessen, und er machte dieses Erlebnis zum Gegenstande eines seiner schönsten Gedichte.

Der Postillon

1.

Lieblich war die Maiennacht,

Silber Wölklein flogen,

Ob der holden Frühlingspracht

Freudig hingezogen.

2.

Schlummernd lagen Wies' und Hain,

Jeder Pfad verlassen;

Niemand als der Mondenschein

Wachte auf der Straßen.

3.

Leise nur das Lüftchen sprach

Und es zog gelinder

Durch das stille Schlafgemach

All der Frühlingskinder.

4.

Heimlich nur das Bächlein schlich,

Denn der Blüten Träume

Dufteten gar wonniglich

Durch die stillen Räume.

5 .

Rauher war mein Postillon,

Ließ die Geißel knallen,

Über Berg und Tal davon

Frisch sein Horn erschallen.

6.

Und von flinken Rossen vier

Scholl der Hufe Schlagen,

Die durchs blühende Revier

Trabten mit Behagen.

7.

Wald und Flur im schnellen Zug

Kaum gegrüßt - gemieden;

Und vorbei wie Traumesflug

Schwand der Dörfer Frieden.

8.

Mitten in dem Maienglück

Lag ein Kirchhof innen,

Der den raschen Wanderblick

Hielt zu ernstem Sinnen.

9.

Hingelehnt an Bergesrand

War die bleiche Mauer

Und das Kreuzbild Gottes stand

Hoch in stummer Trauer.

10.

Schwager ritt auf seiner Bahn

Stiller jetzt und trüber

Und die Rosse hielt er an,

Sah zum Kreuz hinüber:

11.

"Halten muß hier Roß und Rad!

Mag's Euch nicht gefährden;

Drüben liegt mein Kamerad

In der kühlen Erden !

12.

Ein gar herzlieber Gesell !

Herr, 's ist ewig schade!

Keiner blies das Horn so hell

Wie mein Kamerade.

13.

Hier ich immer halten muß,

Dem dort unterm Rasen

Zum getreuen Brudergruß

Sein Leiblied zu blasen!''

14.

Und dem Kirchhof sandt' er zu

Frohe Wandersänge,

Daß es in die Grabesruh'

Seinem Bruder dränge.

15.

Und des Hornes heller Ton

Klang vom Berge wider,

Ob der tote Postillon

Stimmt' in seine Lieder.

16.

Weiter ging's durch Feld und Hag

Mit verhängtem Zügel;

Lang' mir noch im Ohre lag

Jener Klang vom Hügel.

Erläuterung

Postillon = Kutscher des Postwagens.

Silberwölklein = das Mondlicht bescheint die Wölklein, daß sie wie Silber glänzen.

Ob = über;

hingezogen = die Wölklein sind aneinander gereiht, wie man das oft sehen kann; ein Schäfchen neben dem andern in zarten Streifen.

Schlummernd lagen Wies' und Hain. Sie sind wie Menschen aufgefaßt, die im Schlafe liegen. (Personifikation).

Jeder Pfad verlassen = kein Mensch ist mehr auf den Wegen. Der Mondschein wachte auf den Straßen. Er wird mit dem Nachtwächter verglichen, der mit seiner Laterne auf der Straße dahingeht.

Das Lüftchen sprach = es herrschte ein ganz leiser Luftzug, der in den Bäumen ein Geräusch hervorbrachte, als hörte man es dort leise sprechen.

Und es zog gelinder durch das stille Schlafgemach all der Frühlingskinder. Wer sind die Frühlingskinder? Die Blumen. Was ist ein Schlafgemach? Das Lüftchen wird allso mit einem Menschen verglichen, der auf Zehen und nur leise sprechend durch ein Schlafzimmer geht, worin Kinder schlafen. Ebenso das Bächlein: es schlich, man hörte nur ganz leise sein Murmeln.

Der Blüten Träume dufteten gar wonniglich. Der Dichter faßt den Duft der Blüten als ihre Träume auf;

wonniglich = ist vor Wonne, innige Freude.

Rauher war mein Postillon = er war nicht so sanft wie Lüftchen und Bächlein.

Er ließ die Geißel = Peitsche knallen.

Er blies auch sein Horn, unbekümmert, ob dies den Frieden der Nacht störe oder nicht.

Der Hufe Schlagen = das Aufschlagen der Hufe auf dem Boden.

Revier = Gegend. Gewöhnlich wird damit das umgrenzte Gebiet bezeichnet, daß ein Jäger zur Aufsicht hat.

Trabten mit Behagen. Behagen, das Gefühl des Wohlseins. Warum war es den Pferden wohl? Sie hatten nicht schwer zu ziehen, waren ausgeruht, der Weg war gut.

Wald und Flur im schnellen Zug kaum gegrüßt - gemieden. - Die Fahrt (wie im Zug) ging schnell, kaum sah man einen Gegenstand, war man auch schon vorüber.

Wie Traumesflug = so schnell wie ein Traum, in dem man auch oft in kürzester Zeit die weitesten Strecken durcheilt.

Der Dörfer Frieden = in den Dörfern schlief alles, es herrschte Friede.

Maienglück = die Natur machte den Eindruck, als sei sie glücklich. Was rief diesen Eindruck hervor? Der Mondenglanz, die blühenden Bäume, der Duft der Blüten, die laue Luft.

Kirchhof = der Ausdruck kommt daher, weil früher die Friedhöfe meist um Kirchen lagen.

Rascher Wanderblick = der Wanderer hat nicht Zeit, sich die einzelnen Dinge genauer zu betrachten.

Zu ernstem Sinnen: Der Friedhof veranlaßt zu ernstem Nachdenken. Worüber? Über die Vergänglichkeit aller Schönheit und alles Glücks.

Bergesrand = Fuß des Berges, von dem der Abhang langsam ansteigt.

Bleich = farblos;

in stummer Trauer = das Bild des Gekreuzigten macht einen traurigen Eindruck. Wodurch? Das geneigte, mit Dornen gekrönte Haupt, der gemarterte Leib.

Schwager = Postillon.

Von chevalier = Reiter. Der Postillon ritt auf einem der vorgespannten Pferde.

Mag's euch nicht Gefahr bringen, etwa durch ein verspätetes Ankommen an dem Reiseziel. Der Postillon will damit sagen, daß er die kurze Rast wieder durch schnelles Fahren einbringen werde;

herzlieber = einer, den man von Herzen lieben muß;

Gesell = hier in der Bedeutung Kamerad;

es ist ewig schade = warum? Daß er nicht mehr lebt.

Rasen = kurzes Gras;

Leiblied = Lieblingslied ( ~ wie Lieblingsspeise).

Wandersänge = Wanderlieder;

Bruder = er hatte den Toten so lieb wie seinen Bruder.

Ob der tote Postillon stimmt in seine Lieder = als ob der tote Postillon vom Friedhof her die Lieder wiederhole.

Hag = umfriedetes Stück Land, meistens Wiesen;

mit verhängtem Zügel = wenn man die Pferde nach Belieben laufen lassen will, so läßt man die Zügel hängen. Auch beim Reiten so: der Soldat hängt den Zügel an den Arm, um die Hand zum Gebrauche der Waffe frei zu haben.