Choose a language ...
Change font size

Die Volkstümliche Bildersprache.

Dr. Oskar Weise.

Über den Geschmack läßt sich nicht streiten, sagt ein alter Spruch. Was dem einen gefällt, das findet oft bei dem anderen keinen Anklang. Doch gibt es auch Erscheinungen, über die das Urteil der meisten übereinstimmt. So ist ein runder Körper im allgemeinen beliebter als ein eckiger. Demnach bezeichnet das Volk auch einen Menschen, der wenig geglättete Manieren hat, als eckig und sagt von dem, der im Überschwang der Fröhlichkeit alles Maß vergißt, er sei vor Freude eckig geworden (vgl. sich bucklich lachen). Dagegen erscheint jemand, der sich im Herzen recht befriedigt fühlt, als geründet, wie z.B. in Bayern ein tüchtiger, wackerer Mensch als rund. Nach alledem ist es begreiflich, daß wir uns etwas Glückliches nur in dieser Form vorstellen können. Tatsächlich tritt uns das Glück in den verschiedenen Zeiten ausgestattet mit den Zeichen eines Rades, einer Scheibe, eines Balles oder Kugel entgegen und im Sprichwort heißt es: "Das Glück ist kugelrund." Auch der Kreis dient zum Ausdruck erfreulicher Vorstellungen. Ein Glückskind ist der, um den "sich alles dreht", und "um ein Mädchen werben" besagt soviel als sich um sie herumdrehen.

Ein anderer, häufig vorkommender Gegensatz ist zwischen krumm, schief und gerade. Gerade ist uns soviel als bieder, ehrlich, offen; auch aufrecht und aufrichtig, die ursprünglich gleichbedeutend sind, behagen uns. Dagegen erscheinen schiefe Urteile und schiefe Auffassungen weniger angenehm. Einen bösen Menschen nennen wir einen schlimmen, d.h. schiefen Gesellen und eine verschrobene, d.h. verschraubte Person finden wir wohl schief gewickelt wie eine Zigarre. Barock, wunderlich heißt von Haus aus schiefrund. In der Verbindung von wind und weh bedeutet wind ursprünglich schief wie noch in der tautologischen Zusammenrückung windschief. Das Wort Ränke aber geht auf denselben Stamm zurück wie verrenken, das eigentlich krümmen bedeutet. Und wer wüßte nicht, daß das am leichtesten krumm genommen wird, was man gerade heraussagt?

Von den Größenbezeichnungen sind kurz und klein oft mehr nach dem Herzen des Volkes als lang und groß. "Kurz und gut" sowie "klein, aber fein" sind geläufige Redensarten, ein Kleinod ist ein kleiner, d.h. zierlicher Gegenstand und ein kleiner Schelm oder Schäker ist etwas Liebes. Dagegen ist ein langer Mensch nicht selten die Zielscheibe des Spottes und wird bezeichnet als langer Laban, langer Schlaps oder langes Laster. Lang und dumm gehören nach der Anschauung des Volkes so eng zusammen, daß dieses zu sagen pflegt: "Er ist so lang, wie er dumm ist." Denn es kam nach der gewöhnlichen Ansicht nicht oft vor, daß sich Länge und Klugheit in einem Menschen vereinigen. Auch das Allzudicke und Allzubreite erregt oft des Vokes Mißfallen. Dicke tun und bratschbreit dasitzen, breit treten und sich breit schlagen lassen, aufgeblasen oder geschwollen sein sind durchwegs schlechter angeschrieben als etwa sich dünn machen; Schwulst stößt uns ab.

Von den Farben gefällt uns weiß in der Regel mehr als schwarz. Dies erkennt man schon an dem Gegensatz zwischen Engel und Teufeln. Zauberkunst ist Teufelswerk, also Schwarzkunst, und wer Böses ahnt, sieht schwarz. Ein Übeltäter möchte sich gern weiß brennen, umgekehrt schwärzt man oft einen Menschen an, der nichts Böses begangen hat, so daß sich dieser darob schwarz ärgern könnte. Eine weiße Seele heißt in verschiedenen Mundarten dasselbe wie anima candida im Latein, nämlich ein harmloses unschuldiges Gemüt. Man spricht von schwarzen Taten, ohne daran zu denken, daß lat. Malus, schlecht desselben Stammes ist wie griechisch melas, schwarz. Nicht minder mißvergnügt ist man über das Grau. Wenn Goethe sagt: "Grau, grämlich, griegram, greulich, grimmig, ethymologisch gleichermaßen stimmig, verstimmen uns", so malt er grau in grau. Ebenso empfindet man mitunter Mißbehagen über Geflecktes, Scheckiges, Buntes. Man kann sich scheckig über etwas ärgern, hier geht es bunt zu, das ist doch gar zu bunt (=toll). Grün nennen wir die Seite des Herzens. Doch steht schon im Volkslied: "Mädel, ruck an meine grüne Seite!" Grün sein heißt gewogen, günstiggestimmt sein, grünes Weideland kommt uns wonnig vor und wurde früher Wonne genannt (vgl. Wonnemonat = Weidemonat); wer auf keinen grünen Zweig kommt, den halten wir für unglücklich. Auch Rot ist eine Farbe der Freude. In rosigem Lichte erstrahlt alles, was uns entzückt. Darum konnte Goethe singen: "Rosenfarbiges Frühlingswetter umgab ihr liebes Angesicht", darum kann der Berliner sogar von karmoisinvergnügten Menschen reden. Blau ist für die Deutschen die Farbe der Treue; dann wird es aber auch im Sinne von unglaublich gebraucht; so kann man sein blaues Wunder sehen, jemand blauen Dunst vormachen usw. Blau machen aber, d.h. müßig gehen, leitet sich vom blauen Montag her, einem Tage ausgelassener Freude, an dem die Altäre blauen Behang hatten (vgl. Gründonnerstag, dies viridium, Tag der grünen Kräuter, weil man an diesem solche zu essen pflegte).

Ferner dürfte zu beachten sein, daß die Sinneseindrücke leicht ineinander übergehen; z.B. empfindet man die starke Reizung der Gesichts- und Geschmacksnerven ganz ähnlich wie die Wirkung eines grellen Tones. Daher redet man von schreienden Farben und nennt ein brennendes Rot wohl auch knallrot, platzrot oder klatschrot; ebenso kennt der Niederdeutsche nicht nur eine schrille Stimme, sondern auch den schrillen Geschmack eines Apfels oder den kritsaueren des Essigs (vgl. kriten, schreien und die Redensart: es ist so sauer, daß es kritt = krittet), und der Franke verwendet in demselben Sinne krachsauer und kirrsauer (von kirren, schreien). Der reine Ton des blauen Himmels macht auf das Volk vielfach den Eindruck des reinen Klanges einer Glocke; daher spricht es auch von einem glockenreinen oder glockenhellen Himmel, und wenn wir Feinde in hellen Haufen dahinziehen lassen, so meinen wir damit eigentlich, daß sie in hallenden, lärmenden Scharen ihren Kriegszug unternehmen.

* * *

Da sich der Mensch als Maß aller Dinge betrachtet, so werden viele bildliche Ausdrücke von seinem Körper hergenommen; zunächst Ausdrücke für räumliche Entfernungen wie Elle (eigentlich Ellenbogen, Vorderarm), Fuß, Spanne (Breite der ausgespannten Hände), Faden (beide ausgestreckten Arme), Klafter (Maß der ausgestreckten Arme). Doch auch abgesehen von den Maßen kommen solche Übertragungen häufig vor. Denn wir reden von Landzungen, Flaschenbäuchen, Stuhlbeinen, Röhrenknien, Kohlköpfen usw. Namentlich verwendet man gern äußere Merkmale eines Menschen, um sein geistiges Wesen zu kennzeichnen, z.B. steifleinen und zugeknöpft. Halsstarrig ist eigentlich der, welcher den Nacken steif hält, verschnupft von Haus aus der, der den Schnupfen hat. Noch sinnfälligere Ausdrücke gebraucht die Umgangssprache. Von einer Sache, deren man überdrüssig geworden ist, heißt es hier: es steht mir bis oben herauf (wie eine Speise in Magen), ein Aufmerksamer hält die Ohren steif, ein Offener hat das Herz auf der Zunge, ein Verwundeter sperrt Mund und Nase auf. Ferner läßt der Betrübte den Kopf hängen, der Verblüffte macht ein langes Gesicht, der Neugierige einen langen Hals, den Reuigen beißt das Gewissen, der Verschwenderische macht große Sprünge, der Ärgerliche hat einen anderen im Magen und kann ihn nicht verknusen (=verdauen). Wer sich frei von Sorgen fühlt, atmet auf, wer stolz ist, wirft sich in die Brust oder trägt die Nase hoch, die Geringschätzung zeigt man damit, daß man den Widersacher über die Achsel ansieht, die Verachtung, indem man ihn mit Füßen tritt. Der Betrunkene hat einen Affen - nämlich im Leibe, der Entzückte einen Narren an jemand gefressen, der Launische Mucken - d.h. Mücken im Kopf, der Schalkhafte den Schalk im Busen. Sich täuschen wird ersetzt durch sich schneiden oder sich brennen, jemand täuschen durch leimen, einseifen, prellen, übers Ohr hauen, anschmieren u.a. Auch Körperreflexe werden oft benutzt, um Gefühle und Empfindungen des Herzens auszudrücken. Erschrecken heißt zunächst empor springen wie eine Heuschrecke (=Heuspringer), schaudern ist soviel wie schütteln, dem Beklommenen wird es klamm oder angst, d.h. eng, dem Zornigen sind die Gesichtszüge verzerrt ( Zorn von mhd. Zern, zerren), der Empörte richtet sich empor. Die Ausdrücke betroffen, gedrückt, niedergeschlagen bedürfen keiner Erklärung. Schmerz ist mit lat. mordere, beißen - eines Stammes, stoßen, staunen mit stauen, und trauern heißt eigentlich die Augen niederschlagen.

Als Überreste der einst in viel größerem Umfang gehandhabten Gebärdensprache sind Redensarten zu betrachten, wie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, eine Nase drehen, durch die Finger sehen, ein Auge zudrücken, auf etwas pfeifen, die Hand aufs Herz legen, sich an seiner Nase zupfen, sich vor jemand bekreuzigen, ein Schnippchen schlagen, die Feige weisen (die geballte Faust, wobei der Daumen zwischen Zeigefinger und Mittelfinger durchgesteckt wird).

Vor allen Dingen tritt uns die tagtägliche Beschäftigung des Menschen, namentlich seine gewerbliche Tätigkeit, überall im sprachlichen Ausdruck entgegen. Vom Spinnen stammen Metaphern wie "Werg am Rocken haben, Hirngespinste, eine Sache abwickeln, keine gute Seide mit jemand spinnen, der Geduldsfaden reißt mir, ich verliere den Faden, es entspinnt sich ein Kampf"; vom Weben "fadenscheinig, etwas anzetteln, es bleibt kein guter Faden daran"; vom Schmieden "geschmeidig, Ränke schmieden, gut beschlagen sein, vor die rechte Schmiede kommen, Hammer oder Ambos sein"; vom Kaufmann "das paßt nicht in seinen Kram, Kleinigkeitskrämer"; vom Zimmermann "sich verhauen, über die Schnur hauen, nach der Schnur (Richtschnur), Maßstab (Maßregel; vgl. Regel = Lineal), Winkelzüge machen"; vom Bergmann "zu Tage fördern, ans Licht kommen, alle Schichten der Bevölkerung, Schicht machen" u.a.

Von Haus aus schlägt der Schuhmacher über den Leisten, der Schneider fühlt auf die Naht (der Tasche) und fädelt schlau ein, der Barbier nimmt jemand in die Schere oder schert über einen Kamm, der Schlosser legt die letzte Feile an, der Müller hat Oberwasser und dies ist Wasser auf seiner Mühle. An dem Brauer ist Hopfen und Malz verloren, dem Metallgießer paßt alles wie angegossen (wie aus einem Guß), dem Tischler geht etwas aus dem Leim. Wer das Zeug (=Handwerkzeug) dazu hat und nicht hausbacken ist, kann schöne Worte drechseln; wer aufgekrämpelt ist, wird leicht ein Ausbund von Ungezogenheit.

Vielfach leben noch alte medizinische Anschauungen des Volkes in unserer Sprache fort. Weil die Ärzte das Wohlbefinden von der richtigen Verteilung der Feuchtigkeit im Körper abhängig machten, nannten sie einen des Humors (d.h. der Feuchtigkeit) Ermangelnden einen trockenen Menschen, und weil sie das Temperament mit der Körperwärme (Temperatur) in Verbindung brachten, sprachen sie von heißblütigen und kaltblütigen Naturen. Die Redensart "böses Blut machen" erklärt sich aus dem Volksglauben, daß das Blut an bösen Taten schuld sei. Die Adern werden als Sitz des seelischen Lebens gekennzeichnet durch die Wendungen "es ist keine gute Ader an ihm" und "er hat eine musikalische Ader". Die Annahme daß bei Kühnheit und Schrecken die Leber beteiligt sei, ergibt sich aus der Äußerung wie frisch von der Leber weg reden und es läuft mir eiskalt über die Leber.

Welcher Reichtum an Ausdrücken aber dem Volke für einzelne Begriffe zu Gebote stehen, kann man deutlich erkennen, wenn man erwägt, in wie verschiedener Weise das hochdeutsche Wort "klug" von ihm wiedergegeben wird. Da stehen Ausdrücke zu Gebote, wie bewandert (vgl. routiniert), erfahren (einer, der weit gefahren ist), gerieben, gewandt, gerissen, durchtrieben (mit etwas durchzogen), gewiegt (einer, der sich viel in etwas bewegt hat), abgefeimt ( =abgeschäumt von Fein = Schaum; vgl. raffiniert von frz. raffiner, läutern), gut beschlagen (von Rossen), pfiffig (der den Pfiff, d.h. die List versteht); hierher gehören auch Redensarten und Vergleiche wie: er ist mit allen Wassern gewaschen, mit allen Hunden gehetzt, er hört das Gras wachsen, er hat die Weisheit mit Löffeln gegessen, er hat es dick hinter den Ohren, er hat Haare auf den Zähnen, er ist nicht auf den Kopf gefallen, er ist klug wie ein Torschreiber.