Es ist noch gar nicht so lange her, dass in Wien und damit in Österreich der erste Christbaum in
festlichem Lichterglanz seinen Einzug hielt.
Man schrieb das Jahr 1816. Vor dem herrschaftlichen Palais auf der Augustinerbastei, in dem der
Erzherzog Karl mit seiner jungen Frau, der Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg wohnte, standen
am Weihnachtsabend die Wiener in hellen Scharen und sahen neugierig zu den erleuchteten Fenstern
empor. "Das ist", so raunten sie einander zu, "ein Christbaum, wie sie ihn draußen in den deutschen
Städten schon seit vielen, vielen Jahren haben. Dort gibt es kaum ein Haus, wo nicht am Heiligen
Abend, so ein Christbaum steht, mit vielen Lichtern besteckt und mit süßem Zuckerwerk behangen."
Ja meinte ein anderer, der noch mehr wusste, "mir hat es mein Vater erzählt: Unser guter Erzherzog
Karl hat, zusammen mit seiner lieben Frau, diesen Christbaum nach Wien gebracht. Er meint, dass die
Wiener an diesem schönen Brauch Gefallen finden werden; sind doch die Wiener für alles, was
festliche Freude bereitet, leicht begeistert und schnell entflammt...."
Aber die guten Wiener ließen sich mit dem Christbaum Zeit. Sie lasen zwar in der Zeitung von dem
schönen Lichterbaum, der in dem Palais auf der Augustinerbastei so viel Aufsehen gemacht hatte,
sie ließen sich von denen, die ihn gesehen hatten, alles haarklein erzählen, aber sie konnten sich
- weiß Gott warum - nicht entschließen, das Beispiel, dass ihnen das erzherzogliche Paar gegeben
hatte, nachzuahmen.
Und so kam es, dass am Weihnachtsabend des nächsten Jahres außer im Palais auf der
Augustinerbastei in Wien nur ein einziger Christbaum im Lichterglanz erstrahlte. Es war dies im
Vaterhaus des nachmaligen berühmten Wiener Malers Rudolf von Alt, der darüber wie folgt zu
berichten weiß:
"1817 war's, zur Weihnacht.... An diesen Weihnachtsabend knüpft sich meine reizenste,
denkwürdigste Weihnachtserinnerung. Mein Vater brachte in diesem Jahre zum erstenmal einen
Christbaum nach Hause. Anno 1817 kannte man in Wien diese wonnesam - traute, erhebend - erhabene
Einrichtung noch nicht. Der Weihnachtsbaum breitete damals wohl schon in Frankfurt, woher mein
Vater stammte, seine lieblichen Ästlein über Kinderglück und Kinderwonne, aber er tat es noch
nicht in Wien. Hier war er ganz fremd, der herrliche Baum, hier hatte man seinen goldigen Schimmer
noch nicht kennen und lieben gelernt. Und wenn ich noch so alt werde, nie werde ich, nie, diesen
ersten Christbaum vergessen. Milde und bezaubernd steht er heute noch vor mir, wenn ich mich in jene
ferne Zeit zurückträume; ich sehe ihn, ich sehe auch mich, den dummen fünfjährigen Jungen, der
wahre Freudentänze um dieses neue und so sympathische Bäumchen aufführte, der sich nicht
satt sehen konnte an dem Glanz, dem Flitter und all den niedlichen Spielereien. Und wie bezaubernd
winkten und blinkten die lieblichen Lichtlein! Wie warfen sie ihren Schein hinein in mein junges,
aufnahmsfähiges Herz, wie bezauberten sie mich! Noch tagelang schwärmte ich von dem neuen Baum und
schwor mir, würde ich Maler wie mein Vater, in den herrlichsten Farbtönen diesen 'ersten
Christbaum in Wien' der Nachwelt zu erhalten, in sein Abbild all meine Gefühle, mein Gemüt
hineinzulegen."
So schrieb der Maler Rudolf von Alt über den Christbaum, der der erste seines Lebens und der erste
in einem Wiener Bürgerhaus gewesen ist. Aber es dauerte noch einige Zeit, bis die Wiener an dem
grünen, beleuchteten Bäumchen Gefallen gefunden hatten. Es war für sie etwas ganz Neues und an
Neues haben sich die Wiener immer schwer gewöhnt. So durfte es sich nicht wundernehmen, wenn ein
bekannter Liebling der Wiener, der Burgschauspieler Heinrich Anschütz, in sein Tagebuch das
Folgende eintrug: "im Jahre 1821 verbrachte ich mein erstes Weihnachtsfest in Wien. Als ich für
diesen Abend einkaufen ging, war ich erschüttert, das Unverständnis für diese herrlichste aller
Feste wahrzunehmen. Es war sehr schwer, nur eine ganz kleine Fichte aufzutreiben. Ich war erstaunt,
dass diese fröhlichen und manchmal auch den Kindern sehr ähnlichen Wiener diesen schönen Brauch
nicht schon längst nachgeahmt hatten, der langsam, dank der Frau des Erzherzogs Karl, bekannt zu
werden begann. Da ich sehr bekannt war, erregten meine Einkäufe und Vorbereitungen immer Aufsehen.
Ich muss bekennen, dass mein Bleiben in Wien nur den einen Grund hatte, diesen schönen Brauch auch
hier einzuführen. Dieses Weihnachtsfest war übrigens von besonderem Interesse für mich, kam doch
Franz Schubert zum erstenmal als Gast in mein Haus. Er, der sich ein kindliches Gemüt bewahrt
hatte - nur solche Naturen können den Zauber eines Christbaumes ganz verstehen -, brach in
Begeisterung aus als er diese neue Art, Weihnachten zu feiern, sah."
Aber schließlich war eines Tages das Eis doch gebrochen und in Wien, aber auch auf dem flachen
Land, wetteiferten bereits viele tausende Familien, wer den schöneren Christbaum sein eigen nennen
durfte. Tannengrün und Tannenduft gehörten von nun an genau so zum Weihnachtsfest wie die
festlichen Geschenke und der gelbe Weihnachtsstriezel.
Heute aber will man es kaum glauben, dass es wirklich einmal eine Zeit gegeben hatte, wo das
Weihnachtsfest ohne Christbaum, ohne Lichterglanz und ohne den Zauber, den dieses Symbol der
Weihnacht ausstrahlt, gefeiert wurde.
Und doch ist es so gewesen, vor der Jahrhundertwende (vor 1900).