Aus Wiener Volksleben von V. Chiavacci (1898).
Sie war Köchin, er war Knopfmacher. Im nächsten Fasching hätte sollen ihre Hochzeit sein. Er hatte sich ein paar “Knöpfe" erspart und ihr Körbl hatte auch gute Zinsen abgeworfen. Sie wollten ein Wirtshaus aufmachen. Alles war im schönsten Gange; ihre Liebe und Eintracht waren mustergiltig. — Und heute war alles vorüber. Vorüber der Liebestraum, versunken das Wirtshaus wie ein „verwunschenes Schloss“, verschwunden die Eintracht! Was hatte diesen holden Bund gestört? Eine Bombe! Diese Bombe war ein Kanonier! Mehr als das: Ein Feuerwerker! Mit der rohen distinctionslosen Soldateska hätte er den Kampf aufgenommen; aber mit den Sternen wollte er nicht hadern, wenn sie auch nur von Wolle waren.
So beschloss er denn, sich zu rächen, ohne die beiden Schuldtragenden heranzuziehen. Was gab es da Schöneres, als einen Selbstmord? Das war jetzt modern, man kam in die Zeitung, die Leute redeten von einem, und die Mädel zerdrückten vielleicht eine Thräne des Mitleids, wenn ihnen des andern Morgens eine Greißlerin vorlas: „Gestern wurde ein Ertrunkener, anscheinend ein Knopfmacher, dem man den Liebesgram an der Nase ansehen konnte, aus der Donau gezogen. Trotzdem man ihn auf den Kopf stellte, weigerte er sich doch hartnäckig, zum Leben zurückzukehren.“
Das mußte doch ihr Gewissen aufrütteln und ihr ihr schweres Unrecht zu Gemüthe führen! Noch besser, er schreibt ihr selbst einen Brief! Gedacht, gethan. Nach langem Sinnen kam folgendes Schriftstück zustande:
„Liebe Wedl! — Indem das du mit einen andern gehst, bring ich mich um oder ich henk mich auf. Oder nein, damit das du's weißt, ich spring in die Donau. Wenn du dis läsen dust, bin ich eine Laiche. Leb wohl, wir glücklich mit deinen neuchen Liphaber, den Vierer. Meine neuche Atreß ist: Hotel Donau, nasses Bett, 's Numero weiß ich selber net. Dein bis in den Dod dreier Toni.“
Und nun, nachdem so seine Rechnung mit diesem Leben in Ordnung war, machte er sich leichten Sinnes auf den Weg ins Jenseits. Vater und Mutter und liebende Verwandte hatte er nicht, seine “Wedl“ war ihm untreu, was galt ihm also das Leben? — Zur Vorsorge steckte er eine Anzahl Silbergulden zu sich, damit sie was bei ihm finden, zu einer „Leiche“.
Die Leute unten auf der Gasse rannten an ihm vorüber und beachteten ihn nicht, und die Straßen und Plätze hatten alle das gewöhnliche Aussehen. Wenn ihr wüßtet, was ich weiß, dachte er bei sich, da würdet ihr ganz andere Augen machen. Eben überlegte er bei sich, ob er sich in die Donau stürzen oder im Prater aufhängen solle, als einer hinter ihm herlief und schrie:
„Hängt si aner auf!“
Erschrocken wendete er sich um: Wie konnte der seine geheimsten Gedanken errathen? Aber wie er sich umkehrte, musste er laut auflachen, denn der Rufende war ein Gassenjunge, welcher einen Kutscher aufmerksam machte, dass sich ein anderer Junge hinten an den Wagen angehängt hatte.
Er konnte noch lachen? Das war nicht die richtige Stimmung für einen Sterbenden! Also an die Sünden gedacht und an die lieben Engelein und an das Halleluja! — Richtig, da sang er auch schon Halleluja, aber die Melodie, auf welche er es sang, die hatte er einmal bei der Ulke gehört. — Da war ein Fiakerstand! Auf der Bank lag ein Kutscher ausgestreckt und schnarchte wie eine Sägemühle. Hinter ihm stand ein Kamerad und kitzelte ihn mit einem Strohhalm bald da, bald dort. Der Schlafende fuhr haftig nach der juckenden Stelle, aber die Hände waren ihm mit Kohle geschwärzt, und so beschmierte er selbst sein Gesicht nach allen Richtungen.
„Ha, ha, ha“, lachte unser Selbstmordcandidat — „nein, war das spassig! So ein blauer Montag ist doch was Schönes.“ Er blieb vor jeder Auslage stehen, er sah den Buben „Anmäuerln“ zu, er schloss sich der Burgwachmusik an und schritt im Takte mit — so war es Mittag geworden - da fiel ihm sein Entschluss zu sterben ein. Also jetzt keine Zeit mehr verloren, geschwinde zur Donau!
Bei der Aspernbrücke angekommen, betrachtete er sich sein Mordinstrument genauer.
„Muss doch schau'n, wie viel Grad es heunt hat.“ Er stieg in eine Zille und tauchte den Finger ins Wasser.
„Brr, kalt is', da werd' i mi do liaba aufhäng'n. Oder na, weil i schon da bin. Halt a wengl, da fallt mir ein, i kann ja schwimmen. Da müass'n m'r a paar Stana z'sammklaub'n.“
Er sammelte einige schwere Kiesel und stopfte sich damit die Taschen voll.
„Na, is dös a dummer Bua, will da fischen, wo die Dampfschiff vorbeifah'rn. — Du, Bua, da is nix mit'n fisch'n, da plagst' di umsunst.“
Der angesprochene Knabe, welcher in einer Zille angelte, drehte
sich rasch um, verlor aber durch diese plötzliche Wendung das Gleichgewicht, balancierte noch eine Weile auf dem Rande des Schiffes und fiel dann mit einem lauten Aufschrei ins Wasser.
„Jessas, Jessas, dös a no“, schrie der Toni, entledigte sich rasch seiner Kiesel und sprang, nachdem er die Stiefel ausgezogen, dem Jungen nach. Mit einigen kräftigen Stößen hatte er den sinkenden Knaben erreicht, erfasste ihn rasch an den Haaren und schwamm mit ihm ans Ufer.
„Aah, brr“, klapperte er mit den Zähnen, is dös a Kält'n, do geh' i heunt nimmer eini, da is schon 's Aufhäng'n g'scheiter, wird wenigstens 's Gwand schneller trocken.“
„Mein Gott, mein Gott, schau dös arme Buberl an, jetzt hat's die Besinnung verlur'n. G'schwind, Frau Nachbarin, bringen S' an' Kotzen oder ziagn S' Ihnern Kittel aus, dass m'r 'hn einwickeln können!“
In einem Nu hatte sich ein dichter Menschenschwarm angesammelt, welcher sinnlos durcheinander schrie und Vorschläge zur Rettung des Bewusstlosen machte.
„Je, dös is ja der Pepi von der Madam Knauer, da muajs i s' glei hol'n“, sagte die Kräutlerin.
Jeder machte Vorschläge, aber niemand getraute sich etwas zu thun.
„Am Kopf stell'n müassn S' 'hn, dass 's Wasser aussarinnt.“
„Ja freili, was denn, dass 'hn der Schlag trifft — Sö gebet'n an' schön' Rath! Am Bauch müassn S' 'hn tret'n, dass er zum schnauf'n anfangt.“
„Steck'n S' ihm 'n Finger in' Hals, dass 's 'hn reckt.“
„Na, in d' Nasen müass'n S' ihm einiblasen, dass er aufs Athemholen nit vergisst.“
„Kitzeln S' 'hn mit an' Federkiel, dass er niest.“
„Aderlass'n wär 's gscheiteste.“
„'n Dam' auslös'n, 'n Dam' anslös'n — —“
Der Knabe machte der Polemik freiwillig ein Ende, indem er die Augen aufschlug und in dem Momente, als seine Mutter jammernd und händeringend auf ihn zustürzte, zu athmen anfieng.
„Peperl, mei' Peperl, sixt es, i hab d'rs alleweil g'sagt, mit dem verflixten Fischen! — Jessas, Jessas dös Unglück was hätt' g'scheg'n könna.“
„Heuln S' net a so, segn S' denn net, dass der Bua wieder pumperlg'sund is? Bedank'n S' Ihna liaba bei den Herrn, der hat Ihna 'hn aussag'holt, wie a Pudel 's Apportl.“
„I küss d'Hand, Euer Gnaden, i dank viel tausendmal. Unser Herrgott wird Ihna 's an Ihnere Kinder vergelten."
Sie wollte die Hand des Lebensretters ihres Peperl küssen. Der Toni aber, der in der Mutter des Knaben eine Jugendgespielin erkannt hatte, wehrte sie ab und sagte mühsam, da ihm die Zähne vor Nässe und Kälte klapperten: „Kennst mi denn net, Knauer-Maridl, i bin d'r Toni.“
„Meiner Seel, der Huaber-Toni!“ —
Kurze Zeit darauf saßen sie alle drei in dem traulichen Zimmer der überglücklichen Mutter. Während diese in der Küche schnell einen Heferlkaffee gekocht hatte, zogen der Toni und der Peperl ihre nassen Kleider aus; da dem ersteren die Kleider des kleinen Peperl nicht passten, so musste er sich schon einstweilen mit den Frauenkleidern seiner Freundin begnügen, und als diese mit dem dampfenden Kaffee bald darauf ins Zimmer trat, hätte sie beinahe die Heferln zur Erde fallen lassen, so sehr musste sie über die Metamorphose ihres Freundes lachen.
„Da, schau, was du für a g'stat's Madl wärst, da muaß i d'r glei a Bussel geb'n. I dank d'r, dank d'r tausendmal; na dös Unglück!“
Sie gab ihm einen herzhaften Kuss, so dass dem Toni heiß und kalt wurde, denn die „Maridl“ war eigentlich eine Jugendliebe von ihm und er hatte sich, als sie den Knauer-Franzl heiratete, mit einem Päckchen Zündhölzchen vergiftet, aber zum Glück schwedische erwischt, welche keine Wirkung hervorbrachten.
„Nöt wahr, dös is a G'schlader?“ fragte sie nach einer Weile, als jeder sein mächtiges Heferl zur Hälfte geleert hatte. “Mein Gott, a arme Witwe muass mit dem z'fried'n sein!“
„I möcht no an' Kaffee“, bat der Peperl, dem das unfreiwillige Bad Appetit gemacht hatte.
„Du hast gnua, du Mistbua, du grauperter, du kriagst scho no deine Plesch! A so an' Schrock'n. Willst no an' Kaffee, Toni, gelt, in Ciguri schmeckt ma halt aussa?“ Sie legte ihm die Hand anf die Schulter und sah ihn freundlich an.
„A Witwe bist; is also der Knauer-Franzl g'sturb'n?“ fragte der Toni und es wurde ihm so eigen ums Herz.
„G'sturb'n und verdurb'n, wia's d'es nehmen willst. Er hat si eigentli aufg'hängt. — Na, was schaust denn, dummer Bua, willst deine Schläg' jetzt glei hab'n, marsch, aussi in d' Kuchl, thua d'rweil Holz spahnln, dass dir die Zeit vergeht.“
Der Knabe that, wie ihm geheißen, damit ihn nicht doch noch die versprochenen Prügel ereilen.
„Na, dass i dir sag, dös waßt eh, trunken hat er immer gern, aber in der letzten Zeit hat er schon g'soff'n. G'arbeit' hat er a nix mehr; er war a nimmer z'brauchen, denn er hat zittert wie a alt's Weib. Da is halt a Stück'l nach'n andern ins Versatzamt g'wandert.
Z'letzt san ma no pfänd't word'n! Nix habn s' uns laß'n als dö Strohsäck; na, war dös a Elend, du kannft d'r denken, was i da ausg'stand'n hab. An' kronk'n Mann — er hat nämli' 's Delirium clemens 'kriagt und hat nix als Raht'n und Mäus' und klane Viecher g'seg'n, dö ihm nachg'rennt san und auf'n Tisch und auf'n Teller hernmg'wurlt, dös is der Säuferwahnsinn, hab'n d' Leut g'sagt — nachher die klan' Kinder
— die Kathi is nämli seither a g'sturb'n — und i allan zum Verdienn!"
Die Frau trocknete sich mit der Schürze die Thränen, als sie der bösen Zeiten gedachte. Auch den Toni rührte die Geschichte, dass ihm die hellen Thränen über die Backen liefen.
„Ja, du warst immer a guater Mensch und fleißi und sparsam
— und du hast mi a gern g'habt, i waß' schon" — sie zupfte au
ihrer Haube. „I waß net, wo i damals meine Ang'n g'habt hab, dass
i di net gnumma hab'."
Dem Toni rieselte es abermals ganz heiß und kalt durch die Glieder, schon wollte er ihr um den Hals fallen, aber da fiel ihm sein Vorsatz ein; es war die höchste Zeit. Im Dunkeln hing es sich nicht gerne auf! Er machte daher Miene aufzubrechen, wurde aber von der jungen und, wie er sah, noch immer hübschen Witwe zurückgehalten.
„Geh. 's G'wand is ja no nass, und als Madl wirst do nöt auf die Gass' woll'n; hätt'st ja vor dö Mannsbilder kan' Ruah. -Alsdann, dass i auserzähl'. So hat er a zeitlang g'rappelt, amal is er sogar mit'n Messer auf mi 'gang'n — und wie ihm kan' Schnaps mehr geb'n hab', is er auf amol verschwund'n. Nach vier Woch'n habn s' 'hn in Tornbach, wo 's Aufhäng'n z'Haus is, von an' Bam abag'schnitt'n -"
„Und wie hat er denn nachher ausg'schaut?" fragte Toni kleinlaut, weil ihn das Detail dieser Angelegenheit begreiflicherweise sehr interessierte.
„I bitt' di, frag' mi um dös nöt, fürchterli, fürchterli! I hätt 'hn ja nimmer kennt, wann net dös G'wand g'wesen wär'. Die Augenhöhl'n waren leer, die Vögel müassen ihm d' Augen auspickt hab'n, die Knoch'n war'n theilweise bröseldürr abg'nagt von dö Amas — — und von de Wurm' —"
„Is scho gnua, is scho gnua," sagte Toni, und es schüttelte ihn wie ihm Fieberfroste.
„Magst no a bisserl an' Kaffee?“
„Na i dank', du hast m'r mit deiner G'schicht' 'n ganzen Appetit verdorben.“
Die Witwe bezog dies auf ihren Kaffee, der Toni meinte aber damit seine Selbstmordgedanken.
„Und 's Schönste is, seitdem der Haderlump — unser Herrgott tröst 'hn — todt is, hat mi 's Glück net an' Augenblick verlass'n.
Mei Wäschereig'schäft geht ganz guat, und vor a paar Woch'n stirbt mei Herr Vetter, der alte Scheberl, du waßt ja, der mit der roth'n Pfundnas'n — und hinterlässt m'r sei Wirtsg'schäft. I waß zwar net, was i damit anfanga soll; du liaber Gott, zu so an' G'schäft g'hört halt a Mann ins Haus —“ die Frau zupfte verlegen an ihrer Schürze. Dem Toni fuhr es zum drittenmal heiß und kalt durch die Glieder. Ein Wirtsgeschäft, das war von jeher sein Ideal! Er sann eine Weile vor sich hin. Was konnte er denn verlieren, wenn er seinen Vorsatz auf ein oder zwei Tage verschob? So zog er denn, während die „Maridl“ in der Küche das Geschirr abwusch, seine inzwischen getrockneten Kleider wieder an, und empfahl sich, nachdem er der dankerfüllten Witwe hatte versprechen müssen, am anderen Tage wieder zu kommen. Der Peperl musste ihm sogar die Hand küssen.
Nach sechs Wochen schrieb der Toni an seine frühere Flamme: „Liebe Wedl! Wen du glaubst, ich bin schon ein Dotter, so dust du dich irn, indem das Wasser nur acht Grad war. Ich thu dir zu wissen, das ich in ein Wirtsgeschäft geheigratet habe mit einer schönen jungen Widib. Das dein Vierer so schlecht sein kann und mit einer andern anbandelt, hab ich mir nicht denkt. Arme Wedl! Es griest dich dein Toni.“