Vor vielen hundert Jahren, als es noch stattliche Burgen mit mächtigen Rittern gab, kamen einmal in ein entlegenes Gebirgstal seltsame Reisende : eine vornehme Frau mit zwei zarten Kindern und ein alter Mann mit einem schwer beladenen Maultier.
Müde, hungrig und durstig rasteten sie hoch droben im Gebirge. Ein Köhlermädchen aus dem Tale, das einer verlaufenen Ziege nachgestiegen war, hatte die verirrten Fremden entdeckt und ihnen den Weg zu den Hütten der Kohlenbrenner gezeigt. Schnell hatte sich in dem einsamen Tal die Nachricht von der merkwürdigen, kleinen Reisegesellschaft verbreitet und die Köhler kamen neugierig herbei. Das Mädchen Martha, das sie zuerst gesehen, brachte mit seinen Eltern Haferbrot, Milch und Ziegenkäse zur Erquickung.
Dankbar nahm die fremde Frau an, gab ihren Kindern zu essen und zu trinken, dann erst dachte sie an sich. Der alte Begleiter aber, als auch er gesättigt war, bat die herumstehenden, verwunderten Bewohner des Tales flehentlich um Herberge für seine Herrin. Sie werde niemandem zur Last fallen, sondern alles, was sie nötig habe, reichlich bezahlen.
"Ach ja", sagte die Frau mit sanfter, lieblicher Stimme, "erbarmt euch einer unglücklichen Mutter und ihrer zwei Kleinen, die durch ein schreckliches Schicksal aus ihrer Heimat vertrieben wurden!''
Die gutherzigen Köhler, die selbst nicht reich waren, berieten nun sogleich, welches Haus am besten für die Fremden sei ; hatten sie doch schon aus der Tracht und Redeweise und dem ganzen Benehmen erkannt, daß es sich nicht um gewöhnliche Reisende handeln konnte.
Zum Glück hatte ein Müller hoch oben im Tale ein nettes Häuschen, aus Holz gebaut, leerstehen. Tische, Sessel und Bettstellen waren schon drinnen; Decken und Teppiche zur Nachtruhe hatte das Maultier aufgepackt. So zogen die müden Flüchtlinge mit freudigem Dank gegen den guten Müller in dieses Häuschen ein und vergaßen auch nicht, beim Abendgebet Gott zu danken, der sie nach langem Umherirren einen solchen Ort hatte finden lassen.
Am nächsten Morgen sah die Frau mit ihren Kindern entzückt alles genauer an: den kleinen Garten vor dem Hause, die Aussicht ins Tal zu den Köhlerhütten, die Felsen, das Mühlbächlein. ,,Ja'', sagte der Müller, als er sie erblickte, "ein schöneres Plätzchen als dieses gibt es im ganzen Tale nicht!'' Den Kindern gefiel besonders das Mühlrad, das Klappern der Mühle und das Rauschen des weiß schäumenden Wassers.
Bald war die Fremde im neuen Heim eingerichtet, so gut es eben sein konnte. Die Leute wetteiferten, sie mit Lebensmitteln, Brennholz, Küchengeschirr und anderen nötigen Dingen zu versehen. Martha, die sie hergewiesen hatte, blieb als Dienstmädchen bei der Frau.
"Jetzt brauche ich vor allem Eier!" sagte die Herrin, ehe sie ans Kochen ging. "Schau zu, daß du mir für Bezahlung einige auftreibst!" ,,Eier'' fragte Martha ganz verwundert. "Ja, wozu denn?" "Wie kannst du nur fragen? Zum Kochen natürlich!" "Zum Kochen? Aber jetzt im Sommer haben die Vöglein doch keine Eier mehr! Und für vier Personen müßten es wohl einige hundert Eierlein von Finken oder Zeisigen sein - das wäre doch schade!" "Was plauderst du da", sagte die Frau, "wer redet denn von Eierchen der Vöglein. Ich meine Eier von Hühnern." Das Mädchen schüttelte den Kopf und sagte: "Was für Vögel das sind, weiß ich gar nicht. In meinem Leben habe ich noch keine gesehen." "O weh", sagte die Frau, da gibt's noch nicht einmal Hühner."
Die gute Frau mußte sehr kümmerlich leben. Die Leute trugen ihr indes fleißig zu, was sie nur immer glaubten, daß es ihr angenehm sein könnte. Wenn der Müller eine schöne Forelle oder ein Köhler ein paar Wacholderdrosseln fing, so brachten sie ihr diese sogleich. Die größten Dienste tat ihr aber der alte Diener, der mit ihr gekommen war. Sie hatte noch goldenen Schmuck und kostbare Edelsteine. Von diesen gab sie ihm von Zeit zu Zeit und er verreiste damit und blieb oft mehrere Wochen aus. Sooft er zurückkam, brachte er immer allerlei mit, das er für die kleine Haushaltung eingekauft hatte. Die Leute bemerkten jedoch, daß die Frau nach seiner Rückkunft oft sehr traurig war und rot geweinte Augen hatte. Sie wären gar gern dahintergekommen, wer sie denn eigentlich sei und woher sie komme. Allein sie selbst zu fragen, hatten sie den Mut nicht. Der alte Mann aber sagte ihnen, wenn sie ihn fragten, so seltsame Namen, daß sie diese kaum nachsprechen konnten und sie in einer Viertelstunde schon wieder vergessen hatten, bis sie endlich merkten, daß der muntere Greis sie nur zum besten gehalten habe. Die Leute mußten es also der Zeit überlassen, dieses Geheimnis zu enthüllen.
Als der alte Kuno einmal wieder von einer seiner geheimnisvollen Reisen heimkehrte, trug er ein merkwürdiges vergittertes Kästchen auf dem Rücken. Kaum sahen ihn die Köhlerkinder daherkommen, liefen sie ihm alle entgegen; denn er brachte ihnen jedesmal etwas mit, Weißbrot, Mandeln, Zibeben - oder ein Pfeifchen, ein Glöcklein für die Ziegen.
"Kuno, was ist in dem Kasten?" - "Kuno, was schleppst du da?" Aber er lächelte nur und ließ sich von der neugierigen Schar bis zum Haus seiner Herrschaft begleiten. Die Kinder konnten nichts erspähen, denn das Kästchen war fast ganz mit einem Tuch bedeckt. Da trat auch die Frau mit ihren zwei Kleinen herzu und begrüßte den treuen Diener. Endlich stellte er die Last nieder und öffnete ein Türlein.
Das Mägdelein klatschte freudig in die Hände und rief: "Gott sei Dank, nun sind die Hühner da!" Und aus dem kleinen Stall, den Kuno getragen hatte, spazierten zum größten Vergnügen aller Kinder große, prächtige Vögel heraus, wie sie solche noch nie gesehen. Die Frau streute ihnen einige Hände voll Haferkörner hin, die sie geschäftig aufpickten. Als sie fertig waren, schwang der bunteste Vogel der Hahn, wie der fremde Bub den Talkindern erklärte - die Flügel und krähte. So ein Vogellied hatte man in dem Tale noch nie gehört! Alle Kinder lachten und machten das "Kikeriki" auf dem Heimweg immer wieder nach. Daheim konnten sie von den Wundervögeln nicht genug erzählen, die größer seien als Holztauben und Raben, und schöner gefärbt als alle Vögel des Waldes. Bald ließ sich eine der Hennen zum Brüten an. Martha mußte sie täglich füttern. Die Frau zeigte den Kindern das Nest. Das gab nun ein neues Verwundern : "Fünfzehn Eier! Die Holztauben legen nur zwei, andere Vöglein fünf Eier. Wie wird die Henne so viele Junge auffüttern?"
Als die sehr fürsorgliche Glucke inmitten ihrer gelbflaumigen Küchlein das erstemal auf den grünen Rasen hinausschritt, da war die Freude der Kinder und Eltern groß. "Ist das aber lieb!- -- Horcht, wie die Alte die Jungen lockt und wie die kleinen Dinger den Ruf verstehen und sogleich folgen!" - "Nun sind sie kaum erst zwei Tage alt und laufen schon umher und fressen, was ihnen die Alte zerhackt vorlegt!"
Der Müller, der in seiner weißbestäubten Kleidung im Kreise der schwarzen Kohlenbrenner auffiel, zeichnete sich auch durch besinnliches Denken und Reden aus: "Was das doch für ein Wunderding mit diesen fremden Vögeln ist! Bedenkt nur, wie gut es ist, daß diese Vöglein sogleich laufen und fressen können; wenn die Alte so vielen Jungen das Futter im Schnabel zutragen müßte wie eine Schwalbe, da würde sie nicht fertig!"
An einem Sonntag war große Freude und Bewegung im Tale. Alle Hausmütter gingen in ihren schönsten Kleidern zum Häuschen bei der Mühle. Die fremde Frau hatte sie mit einer Einladung zum Mittagessen überrascht.
Was wird es denn Gutes geben? dachten alle neugierig, als sie im Garten auf den Bänken an einem nett gedeckten Tisch Platz nahmen.
Das war nun freilich etwas ganz Seltsames für sie, als Martha einen großen Korb voll Eier brachte. So viele hatten die Kohlenbrennerinnen ja noch nie beisammen gesehen. Die gute Fremde ließ nun der Reihe nach auf verschiedene Art die Eier zubereiten, so daß die Leutchen aus dem Verwundern gar nicht herauskamen. Ich will euch die Speisekarte dieses ländlichen Festmahles verraten: es gab zuerst ein Ei, weich gekocht, mit Salz und Weißbrotschnitten; dann Spiegeleier mit Spinat; zum Schluß frischen Feld (oder "Vogerl"-) Salat mit harten Eiern. Uns sind das lauter wohlbekannte Speisen. In jenem weltfernen Tale aber waren es lauter Neuigkeiten. Das war ein fröhliches Schmausen! Dabei lernten die Gäste auch gleich, wie man weiche Eier schön säuberlich ißt und wie die Schale eines rohen Eies vorsichtig geöffnet und es in heißes Schmalz geschlagen wird. Am meisten wunderten sie sich über die hartgesottenen Dinger. Als Kuno einige zum Spaß fallen ließ, das gab einen erschreckten vielstimmigen Aufschrei! Daß Eiweiß und Dotter hart werden, je länger sie kochen, erschien ihnen kaum glaublich.
Zum Schluß verschenkte die Gastgeberin einige Hähne und Hennen an ihre Gäste. "Ihr habt mir in meiner Not, als ich hieherkam, so viel geholfen, nun darf ich euch auch eine Freude machen. Wenn ihr die Tiere richtig haltet, könnt ihr von einer Henne jährlich über hundert Eier haben. Ich zeige euch gerne ein anderes Mal, was für gute, nahrhafte Speisen sich damit noch herstellen lassen."
"Eine edle Frau!" - "Diese nützlichen Tiere!" "Wie gut die Eier schmecken!" "Wie appetitlich sie im heißen Fett aussahen, so schön weiß und gelb wie die Wiesenblumen, die wir Ochsenaugen nennen!" So schwirrten die Reden der hochzufriedenen, beschenkten Hausmütter durcheinander, als sie zu Tal stiegen. Eine aber dachte sich im stillen aus, ob das nicht auch eine schmackhafte, neue Speise gäbe, wenn man ein Ei ins Mehl verrühre ...
Mit dem Federvieh war neues Leben ins Tal gekommen. Auch die Hausväter waren mit den Neuerungen im Stall und auf dem Tisch einverstanden (sie machten es durchaus nicht wie ungezogene Kinder, die eine fremde Speise gar nicht erst kosten wollen, sondern Grausen zeigen und unartig abwehren!)
Der Weckruf der Hähne am Morgen, das Gackern der Hennen nach dem Eierlegen -- all das bedeutete tägliche Freuden für die Leute. Der Müller aber, der sich über alles seine besonderen Gedanken machte, sagte: "Nun erst wissen wir, was wir in der Kirche vom heiligen Petrus hörten: wie ihm der Hahnenschrei ins Herz drang, als er den Herrn verraten hatte. So soll der wachsame Hahn, wenn er gegen Mitternacht ruft, allzu übermütige Gesellschaften mahnen, nun sei es höchste Zeit, heimzugehen!"
Die Fremde aber freute sich trotz ihres geheimen Kummers, den sie niemandem verriet, daß sie so viel Nützliches zeigen konnte. Und ihre beiden Kinder schätzten nun erst, die Eier als wohltätige Gottesgabe - woran sie früher im Überfluß nie gedacht hatten. Nach einem langen, harten Winter, in dem die Talbewohner kaum aus ihren tiefverschneiten Hütten kamen, war es endlich wieder Frühling geworden.
Als die vereisten Wasserfälle am Mühlrad auftauten und der Hohlweg zwischen den Felsen wieder gangbar wurde, bekamen Edmund und Blanda, die zwei fremden Kinder, Besuch: die Köhlerkinder brachten ganze Hände voll Veilchen und Schlüsselblumen und flochten ihnen Kränzlein damit.
Als die Frau die muntere Kinderschar mit den duftenden bunten Frühlingsblumen sah, kam ihr ein guter Einfall. Sie beriet sich insgeheim mit Martha, wie man den Kindern zum Ostersonntag ein kleines Fest geben könne. Tagelang machten sie allerlei Vorbereitungen und zuletzt eilte Martha, die Spielgenossen von Edmund und Blanda einzuladen.
Am heiligen Ostertag, der wunderschön begann, machte sich die Frau mit Kuno zeitig vor Sonnenaufgang auf den Kirchweg. Weil das Kirchdorf zwei Stunden weit entfernt lag und nur auf anstrengendem Weg, bergauf und bergab zu erreichen war, mußte sie die Kleinen mit Martha schweren Herzens daheim lassen. Kuno trug sorgsam einen Korb mit, den er beim Heimkommen schmunzelnd beiseite stellte.
Bald waren die eingeladenen Buben und Mädchen vor dem Hause, eine fröhliche, erwartungsvolle Gesellschaft. Sauber gewaschen, nett gekämmt, in ihren reinlichen, bunt bestickten Leinenkittelchen durften sie mit Edmund und Blanda, die auch festlich gekleidet waren in den Garten gehen. Die Frau aber sagte zu ihnen: "Seht, die Bäume dort standen dürr; nun leben sie neu auf und schmücken sich mit frischen, grünen Blättern. Tausend schöne, bunte Schmetterlinge und mancherlei niedliche Käferchen, die früher, unansehnlichen Würmern ähnlich, nur auf Blättern umherkriechen konnten, sich dann in die Erde verscharrten, kommen jetzt beflügelt und als neue Geschöpfe aus diesen ihren Gräbern hervor und freuen sich ihres neuen Lebens. Die Blumen da auf den Gartenbeeten kommen aus der dunklen Erde hervor; auch sie sind auferstanden"
Nach dieser kleinen Ansprache, der die Kinder aufmerksam gelauscht hatten, ließen sie sich aus neuen, irdenen Schüsselchen heiße, süße Milch, in die Eier geschlagen waren, eine Art "Milchcreme" gut schmecken. In dem kleinen Tannenwald neben dem Garten formten sie dann auf Geheiß der Frau mit Freuden Nestchen aus frischem Moos. Während sie nach diesem Spiel mit einem gelben, flaumigen Osterstriezel bewirtet wurden, schlich Martha in den Wald. Sie trug den Korb des Kuno, der mit verzierten, und noch einen, der mit buntgefärbten Eiern voll war, zu den Nestern, verteilte die Ostergaben gleichmäßig und begab sich unbemerkt wieder ins Haus. Als die Kinder nach Herzenslust gegessen hatten, lud sie die Frau ein: "Nun schaut euch einmal nach den Nestern im Walde um!"
Da fanden sie - könnt ihr euch den Jubel vorstellen? - in jedem fünf farbige Eier, davon je eines mit einem Spruch verziert. "In meinem Nest sind lauter rote!" - "In meinem blaue!" "Bei mir gelbe!" - "Und ich hab' gar solche in allen Farben!"
Ihr dürft die Eier so austauschen, daß jedes von euch alle Farben in seinem Nestchen hat, erlaubte die Frau.
"Die Hennen möchte ich kennen, die so schön gefärbte Eier legen", meinte ein kleiner Bub, als sie mit großem Eifer das Eiertauschen begannen.
"Aber das Ei mit dem Sprüchlein drauf gebt nicht weiter", sagte nun Edmund und las seinen Vers vor:
"Ich komm' von der Henne Gockelei-Gockela
und künde euch an: die Ostern sind da!"
Die Köhlerkinder waren ganz erstaunt, daß der Knabe schon lesen konnte. Damals gab es ja nur ganz wenige Schulen, so daß auch viele Erwachsene nicht die Kunst des Lesens und Schreibens kannten.
Nun drängten alle herbei, ihr Ei mit dem Spruch in der Hand, und jedes wollte sein Verslein hören. Die Frau stellte die Kinder in einen Kreis und las ihnen der Reihe nach die Sprüchlein vor. "Hildgund" sprach sie liebreich zu einem kleinen Köhlermädchen, "deines ist eins der längsten und schönsten:
Weil zu unserer größten Freud
beginnt die schöne Osterzeit,
will ich laut und fröhlich singen,
mit den weißen Lämmlein springen!"
"Meines ist aber auch lieb", rief Blanda freudig. Auch sie konnte es selbst vorlesen.
"Ich lag im Nest für dich versteckt,
nun hast du mich mit Freud' entdeckt.
Zur Osterzeit, zur Osterzeit
bring' ich den Kindern Fröhlichkeit!"
"Und meines?" bat ein schüchterne Kleiner leise, der letzte im Kreis.
"Fünf Eier bunt im grünen Nest:
Viel Glück und Freud' zum Osterfest!"
las Edmund. Freudig wiederholten alle im Kreise die zwei Zeilen und im Nu hatten sie ein Lied daraus geformt. Singend schritten sie im Frühlingsreigen auf dem grünen Rasen. Die Eier hatten sie ins Gras gelegt und einander an den Händen gefaßt. Bald versuchten sie auch die anderen Sprüchlein zu singen und sich auswendig zu merken. Dabei wichen sie mit behutsamen Schritten den Nestchen und Eiern aus. Fröhlich klang es ins Tal hinab:
"Will ich laut und fröhlich singen,
mit den weißen Lämmlein springen!"
Die Väter und Mütter und größeren Geschwister der kleinen Gäste, die das Singen vernahmen, eilten zum Häuschen bei der Mühle. Da sahen sie den zierlichen Eiertanz ihrer Kleinen und vernahmen freudig, was sie an diesem unvergleichlichen Ostersonntag Gutes und Schönes erlebt hatten.
Die Eltern bewunderten die erfinderische Liebe der Fremden, die mit allerlei Pflanzen die weißen Eier so hübsch bunt gekocht hatte; sie waren stolz, daß Martha, eine der ihren, dabei geholfen hatte.
Nachdem auch noch die größeren Kinder mit Ostereiern und Osterzopf beschenkt waren, sagte die gütige Frau zum Abschied: "Eßt daheim eure gefärbten Dingerchen, die euch so viel Freude beim Suchen und Finden machten! Aber das mit dem Osterspruch hebt zum Andenken auf! Es ist auch noch aus anderem Grunde ein besonderes Ei: die am Gründonnerstag gelegten werden seit alters her in hohen Ehren gehalten. Der brave Kuno nahm diese heut über Berg und Tal in die Kirche mit und sie haben vom Herrn Pfarrer eine eigene Weihe erhalten.
Dankbar begaben sich alle zu Tal, und wie zur Antwort auf die letzte Mahnung klang es herauf:
"Nun singet all' zu dieser Frist:
Erstanden ist der heil'ge Christ!"
Unter den Zuschauern beim Kinderfeste war der Frau ein Fremdling aufgefallen, ein hübscher, ärmlich gekleideter Bursche, der traurig inmitten der fröhlichen Menschen stand. Als alle fort waren und auch er sich anschicken wollte, mit seinem Wanderstecken den Berg hinaufzuschreiten, redete sie ihn mitleidig an. Da erzählte er: "Mein Vater, ein Steinhauer, ist vor drei Wochen gestorben. Meiner Mutter geht es nun mit meinen zwei kleinen Geschwistern recht schlecht. Ich bin auf der Reise zu meinem Onkel, der mich auch die Steinhauerei lehren will. Zwanzig Stunden weit komme ich her und fast noch einmal so weit muß ich gehen." Da gab ihm die gute Frau vom Festmahl der Kinder zu essen und noch einiges auf den Weg mit. Edmund und Blanda schenkten ihm Ostereier für seine kleinen Geschwister. Die Mutter holte ein besonders schön bemaltes Ei und sagte: "Das bring einmal deiner Mutter! Sag, der Spruch darauf hat mir leidgeprüften Frau geholten, er soll auch sie trösten:
"Christ ist erstanden,
von der Marter alle,
des sollen wir alle froh sein,
Christ soll unser Trost sein!"
Gestärkt und ermutigt wanderte Fridolin weiter. Am Abend des dritten Tages, als er nur mehr wenige Stunden von seinem Ziel entfernt war, mußte er auf einem schmalen Felsensteig durch eine schauerliche Schlucht klettern. Plötzlich hörte er aus dem Abgrund zu seiner Rechten ein Pferd wiehern. Bestürzt blickte er in die schwindelnde Tiefe und sah unten ein kostbar gezäumtes und gesatteltes Tier. Der im Bergsteigen geübte Jüngling überlegte sofort, daß da irgend etwas geschehen sein mußte. Endlich fand er einen Felsensteig und kam glücklich hinab. Da sah er erst, daß das Pferd neben seinem Reiter stand, der, ritterlich gewandet, blaß, wie schlafend, lag. Fridolin faßte ihn an und fragte: "Kann ich Euch helfen, lieber Herr?" Der Mann schlug die Augen auf, konnte aber vor Schwäche kein Wort hervorbringen. Endlich deutete er auf seinen Mund und, auf den Helm. Da verstand der Bursche, daß er Wasser wolle, und holte es ihm aus dem Bergbach. Der Reiter trank in langen Zügen aus dem Helm, und endlich kam ihm die Sprache wieder:
"Gott sei Dank! Er hat dich mir gesandt, daß ich in dieser Schlucht nicht verschmachte. Hast du nicht auch einen Bissen Brot bei dir?"
Aber Fridolin hatte seine geringe Wegzehrung schon gegessen, "Doch, halt, halt" rief er freudig, "Da sind ja noch die Ostergaben der guten Leute im Köhlertal!" - Und er labte den Fremden mit kleinen Stückchen der zwei Eier von Edmund und Blanda. "Aber wie kommt Ihr, edler Ritter", fragte Fridolin, indem er Gewand und Rüstung betrachtete, "Mit Eurem Roß in diese Wildnis?''
"Ich bin nur ein Edelknecht und für meinen Herr schon wochenlang unterwegs. Da hab' ich mich im Gebirge verirrt und bin in der Finsternis der Nacht mit meinem Pferd, den steilen Abhang heruntergestürzt. Dem Tier geschah nichts, aber ich habe mir den Fuß verletzt, so daß ich mich ohne Hilfe nicht mehr aufs Pferd schwingen kann. Da erschienst du mir wie ein Engel des Himmels - wie heißest du? Und wie kommst du just hieher?''
Fridolin berichtete ihm alles. Der Knappe hörte aufmerksam zu. Dabei fielen seine Blicke auf die roten und blauen EierschaIen, die umherlagen. "Solche Eier sah ich noch nie", sagte er. "Zeig mir bitte, auch das dritte, das du mir vorhin noch anbotest!" Gerührt las er die Inschrift, hörte, wie er zu diesen sonderbaren Dingern gekommen war und bat um das bemalte Osterei zum Andenken. Er gab ihm dafür vier Goldstücke.
Fridolin half ihm nun in den Sattel, mühevoll, aber glücklich erreichten sie dann wieder die Höhe und mit einbrechender Nacht das Haus des Steinhauers.
Dort konnte der Edelknecht bleiben bis er wiederhergestellt war, und beschenkte, ehe er fortritt, alle im Hause reichlich. Im Tal der Köhler ging den ganzen Frühling und Sommer über alles seinen gewohnten Lauf: die Felder wurden bestellt, die Mühle klapperte, die Kohlenmeiler rauchten, die Frauen besorgten den Haushalt und zogen viele Hühner. Die Kinder fragten, ob nicht bald wieder Ostern sei?
Im Häuschen bei der Mühle herrschte oft Traurigkeit: der gute Kuno kränkelte. Schon lange hatte er für seine Herrin keinen Botengang mehr unternehmen können. So war sie von ihrer fernen Heimat wie abgeschnitten.
Eines Morgens wurde sie durch eine Neuigkeit, die einige Köhler aus dem Walde heimbrachten, in größten Schrecken versetzt: "Fremde Männer mit eisernen Kappen und eisernen Wämsern, mit Schwertern und Spießen waren nachts bei unseren Meilern. Sie haben uns nach der Gegend ausgefragt und nannten sich Dienstleute eines Grafen von Schroffeneck, der mit vielen ihresgleichen da im Gebirge angekommen sei."
Als die edle Frau durch den Müller das erfuhr, rief sie bleich vor Entsetzen: "Der Schroffeneck ist der grimmigste Feind unserer Familie! Wenn nur die Köhler meinen Aufenthalt nicht verrieten!" Der Müller beruhigte sie, die fremden Reitknechte hätten sich nur an den Feuern der Köhler gewärmt, von ihr sei gar nicht die Rede gewesen, doch streiften sie wohl noch in den Bergen umher. Da vertraute ihm die Fremde, da sie den Müller als rechtschaffenen Menschen schätzen gelernt hatte, ihr trauriges Geschick an: "ich bin Rosalinde, die Tochter des Herzogs von Burgund. Weil mir der zwar nicht reiche, aber tapfere und edle Arno von Lindenburg lieber zum Gemahl war als Hanno von Schroffeneck, ein reicher, aber gewalttätiger Graf, faßte dieser einen furchtbaren Haß gegen uns. Lange Jahre lebten wir trotzdem in Frieden. Da rief der Kaiser zum Krieg gegen wilde Völker an die Landesgrenzen. Auch Hanno wäre verpflichtet gewesen mitzuziehen. Aber er wußte unter allerlei Vorwänden seine Rüstungen zu verzögern, und während mein Gemahl mit den Seinen schon längst in Rittertreue dem Kaiser gefolgt war, fiel der treulose Hanno in unser Land ein. Wir waren wehrlos. Mir blieb nichts anderes als die Flucht, bei der unser alter Kuno mein Beschützer war. So kam ich zu euch. Von Zeit zu Zeit unternahm es mein Diener, Kunde von der Heimat zu holen. Sie war jedesmal traurig genug: immer noch waltete der böse Hanno in unserem Lande, immer noch währte der Krieg an den Grenzen. Nun wird es schon bald ein Jahr, daß ich nichts mehr von meinem lieben Gemahl erfahren konnte. Ob er gefallen ist? Ob Hanno auf meine Spur kam? Oh, dann wäre es am besten, ich könnte auch sterben! Redet mit den Köhlern, lieber Müller Oswald, daß sie uns nicht verraten!"
Der Müller beteuerte ihr, daß sie nichts zu fürchten brauche, niemand werde ihren Namen und Aufenthalt preisgeben, ja, jeder würde sie mit seinem eigenen Leben schützen, dafür stehe er gut. Dennoch verbrachte fortan die Frau ihre Tage unter beständiger Sorge. Sie getraute sich kaum aus der Hütte und ließ auch die Kinder nicht fort. Nach langen Regentagen war endlich ein schöner Spätherbsttag gekommen. Da man nie mehr etwas von den Geharnischten gehört und gesehen hatte, wagte die Mutter mit den beiden Kleinen ihren Lieblingsweg zu gehen: einige Minuten über weichen Rasen und zwischen malerischen Felsen zu einer traulichen Waldkapelle. Wie sie es immer taten, so beteten sie zuerst gemeinsam, dann setzte sich die Mutter auf eine Bank. Die Kinder suchten Brombeeren und entfernten sich dabei immer mehr.
Als nun die Frau ihren traurigen Gedanken in der Einsamkeit nachhing, näherte sich plötzlich jemand der Kapelle: ein stattlicher Mann mit wallenden, weißen Haaren und langem, weißem Bart. Er war nach Art der Pilger gekleidet, die damals zu Fuß nach Rom oder gar ins Heilige Land wallfahrteten. Die Frau erschrak. Er grüßte ehrerbietig und fing ein Gespräch an, sie aber war in ihren Reden sehr einsilbig. Dabei blickte sie ihn forschend an. Da sagte endlich der Pilger: "Edle Frau, fürchtet Euch nicht! Ich kenne Euch, Ihr seid Rosalinde von Burgund. Ich weiß auch, was Ihr mitgemacht habt, und kenne Euren Gemahl, von dem Ihr nun schon drei Jahre getrennt seid. Wenn Euch daran liegt - ich kann Euch Botschaft von ihm melden. Denn es ist Friede! Arno von Lindenburg ist heimgekehrt, das Land gehört ihm wieder, der böse Hanno mußte flüchten, in diese Gebirge und von da weiter. Der innigste Wunsch Eures Gemahls wäre, Euch bald aufzufinden und heimzuführen."
"Oh Gott, was für eine Freudenbotschaft! Wie kannst du zweifeln, ob mir daran etwas liegt? Kinder, meine Kinder!" rief sie den beiden zu, die schüchtern und neugierig näher gekommen waren, "sagt einmal dem Manne hier das Gebet, das wir alle Morgen für den Vater beten!"
Die Kleinen sprachen: "Lieber Vater im Himmel! Sieh' auf uns zwei arme Kinder herab! Unser Vater ist im Kriege. Oh, laß ihn nicht umkommen! Wir wollen auch recht fromm und gut sein, damit der liebe Vater Freude habe, wenn er uns einmal wiedersieht! Ach ja, erfülle unsere Bitte!"
Jetzt fing der Pilger mit einem Male an, laut zu weinen. In einem Augenblicke hatte er die Verkleidung - Haare und Bart, Pilgermantel und Pilgerrock hingeworfen, und stand nun in prächtiger ritterlicher Tracht, voll Kraft und Leben da, breitete seine Arme weit gegen Frau und Kinder aus und rief mit lauter, herzdurchdringender Stimme: "Oh Rosalinde, meine Gemahlin, oh Edmund und Blanda, meine liebsten Kinder!"
Die Frau war vom plötzlichen Freudenschreck wie betäubt. Die Kinder, die bei dem lauten Weinen des Pilgers eben zu ihrer Mutter aufgeblickt hatten als wollten sie um Hilfe für den Mann flehen, schauten als sie jetzt ihren Namen hörten um, und erschraken über das Wunder das sie zu sehen glaubten. Oh, wie entzückt waren sie als die Mutter ihnen nun sagte der Herr sei ihr lieber Vater, von dem sie ihnen so oft erzählt habe. Vater und Mutter und Kinder fühlten sich so glücklich, als wären sie schon im Himmel.
Plötzlich entnahm der Vater seiner Pilgertasche das Ei mit dem Osterlied, das einst Fridolin erhalten hatte: "Schau, meine liebe Rosalinde, dieses Osterei war in der Hand Gottes das Mittel, uns wieder zu vereinigen. Schon lange hatte ich viele meiner Leute ausgesandt, dich zu suchen. Überall warst du von unseren Feinden umgeben, und erst als ich mit den Knappen kam entfloh Hanno. Einer meiner Knechte nun, den ich schon für verloren gehalten hatte, kam eines Tages zu mir zurück, und erzählte mir von seiner wunderbaren Rettung durch einen fremden Jüngling und zeigte mir das kostbare Andenken, das Ei. Sofort erkannte ich deine zierliche Schrift, unser liebes Osterlied , - und sofort ritten wir zum Marmorbruch in dem Fridolin arbeitete. Der zeigte uns dann den Weg hierher. Ich ließ wegen der steilen Pfade meine Reiter zurück und eilte als Pilger verkleidet, voraus, um dich auf das Wiedersehen vorzubereiten."
"Gott sei Dank! Gott sei Dank!'' konnte Rosalinde nur immer wieder unter Freudentränen sagen, "Gott und deinem guten Herzen, denn hättest du nicht den schönen, freundlichen Einfall gehabt, den Kindern mit den bunten Eiern ein Fest zu geben - hättest du dich nicht des traurigen Wanderburschen erbarmt und die schönen Ostersprüchlein auf die Eier gemalt - so wäre uns der heutige Freudentag nicht geworden! Dieses Ei werden wir zum steten Andenken aufbewahren."
Das wurde in dem stillen Tal ein bewegter von lauter Freude erfüllter Abend, wie die guten Leute noch keinen erlebt hatten. Der Edelknecht und sein Erretter Fridolin waren zuerst angekommen, dann schallten Trompeten und Jagdhörner und das Gefolge des Grafen begrüßte die wiedergefundene Gebieterin. Den alten Kuno aber machte die Freude des Wiedersehens mit seinem Herrn und das Ende der kummervollen Zeit schnell gesund.
Bei einem großen Fest das der Graf nach ein paar Tagen vor dem Abschied gab, saß der Müller neben ihm und die Köhler hatten ihre Plätze zwischen Rittern und Knappen. Martha reiste mit der Gräfin. Alle anderen wurden reich bedacht, auch die Mutter und Geschwister des hilfreichen Fridolin.
Zum Schluß stiftete der Graf für die Köhlerkinder, daß alljährlich zu Ostern an sie bunte Eier ausgeteilt werden sollten.
"Und ich", sprach die gute Gräfin, "will zum Dank für das glückliche Ende unserer leidvollen Trennung in unserer Grafschaft auch diesen Brauch einführen und alle Jahre zu Ostern gefärbte Eier unter die Kinder aufteilen lassen."